Inhalt
Der 21jährigen Dominique wird der Prozess gemacht. Sie soll ihren Liebhaber, einen vielversprechenden Musik-Studenten, erschossen haben und hat sich im Anschluss versucht das Leben zu nehmen. Der Staatsanwalt und besonders der Anwalt der Nebenklage kennen kein Erbarmen mit der jungen Frau, rücken ihre freizügige Lebensweise in den Fokus, um sie als gewissenlose Mörderin darzustellen. Ihr Anwalt kämpft verbissen dagegen an. Es geht ihm weniger um einen Freispruch, mehr darum, den Ruf seiner Mandantin zu retten.
Kritik
Für eine fast 40jährige Karriere drehte – bzw. vollendete – der Franzose Henri-Georges Clouzot verhältnismäßig wenige Kinofilme, darunter aber unverzichtbare Meisterwerke. Allein Lohn der Angst (1953) oder Die Teuflischen (1955) haben das Kino maßgeblich geprägt, sogar auf ihre Weise verändert. Eine seiner letzten Arbeiten wurde das Justizdrama Die Wahrheit, das eigentlich zu einem relativ ungünstigen Zeitpunkt veröffentlicht wurde. Mitten im Aufkeimen der Nouvelle Vague, fast parallel zu Werken wie Sie küssten und sie schlugen ihn oder Außer Atem. Somit Gefahr laufend altbacken zu wirken. Aber obwohl er sich nicht dieser neuen, frischen Bewegung zuordnen lässt, wirkt diese noch recht klassisch gehaltene Arbeit dem Geist ihrer in vielen Punkten sehr nahe. Da er viel über Lebensumstände, gesellschaftliche Kluften, das Aufbrechen ethisch-moralischer Prinzipien und der Bloßstellung konventionellen Schubladendenkens zu berichten hat, was den grundsätzlichen Gedanken des jungen, wilden Kinos dieser Tage nur bestätigt.
In Die Wahrheit geht es primär nicht um die Frage nach Schuld oder Unschuld, obwohl es bis zum Ende durchaus auch einen nicht unwichtigen Part einnimmt. Die Umstände, die zum Tod eines jungen Mannes aus gutem Hause führten und welche Rolle dabei genau seine als verrucht geltende On/Off-Affäre spielte, es wird tatsächlich erst am Schluss endgültig geklärt. Somit wahrt sich der Film geringfügig den Status als Thriller, im Grunde steht die Spannung aber nicht an erster Stelle. Die bildhübsche Dominique (Brigitte Bardot, Die Verachtung) scheint schon verurteilt, bevor die Verhandlung begonnen hat. Der Mord an ihrem Liebhaber ist unbestritten, doch um die reine Tat scheint es gar nicht zu gehen. Das Gericht, in erster Linie der erzkonservative Staatsanwalt und der gerissene Vertreter der Nebenklage, prangern deutlich ihren Lebensstil an, der in ihren Augen mehr als lasterhaft und ohne Frage die Wurzel allen Übels ist. Statt sich – wie ihre jüngere Schwester – der elterlichen Autorität brav unterzuordnen, einem geregelten, gesellschaftlich konformen Leben wie einem Studium nachzugehen, lebt sie in den Tag hinein, pflegt lockere Männerbekanntschaften. Entspricht nicht dem, was damals als „normal“ und tugendhaft angesehen wurde. Sie wird als die personifizierte Sünde und Gewissenlosigkeit an den Pranger gestellt, die eh ohne Perspektive ausgestattet nun folgerichtig einen Mord begangen hat. Ein hoffnungsloser Fall, von Anfang an.
Dass dies nur plakative Vorwürfe sind, zeigt Clouzot im Laufe der zwei Stunden. Dominique ist sicherlich nicht das, was man sich seinerzeit unter einer sittenhaften, vorbildlichen Dame vorgestellt hat, jedoch steckt hinter ihrem Wesen kein schlechter, gewissenloser Mensch. Eher ein unsicheres, in ihrem Leben nie wirklich bestätigtes Mädchen. Sicher etwas naiv, nicht mit beiden Beinen im Leben, ohne Struktur, Ziele und dem ehrlichen Ehrgeiz dies zu ändern. Sie scheint trotz ihres selbstbewussten, lockeren Umgangs sehr fragil und viel zu blauäugig für eine Welt, die dies gnadenlos bestraft. Eine Rebellin, nicht weil sie es etwa darauf anlegt, sondern einfach aus dem Bauch heraus handelt; unfähig sich anzupassen. Dieses trotz ihrer unbestreitbaren Schuld aufgrund ihres Charakters Beschützerinstinkte hervorrufendes Ding wird dargestellt von eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Die Bardot galt nicht immer als begnadete Schauspielerin, war mehr aufgrund ihres Sexbomben-Image ein Star. Clouzot treibt sie zur Höchstform an, kitzelt alles an Talent aus ihr heraus, was sich unter der wunderschönen Schale verbirgt. Die Rolle des Vamps, die eigentlich keiner sein will, wirkt wie für sie gemacht (mit tragischen Real-Life-Parallelen) und sie bringt das großartig. Verletzlich, hilflos, überfordert. Sie trägt den Film mühelos, ihre Kollegen werden da leicht ins zweite Glied gerückt. Müssen sich eigentlich nicht verstecken, werden jedoch zwangsläufig überstrahlt.
-„Dumme Sache.“
-„Das sind die Schattenseiten des Berufs.“
Fazit
Ein Generationskonflikt und moralinsaures Sittengemälde, ausgetragen als moderner, unmenschlicher Hexenprozess. Teils menschenverachtende Ignoranz und selbstgerechte Grausamkeit werden ebenso ungeschönt dargestellt wie ein heuchlerisches Gender-Bild. „Die Wahrheit“ funktioniert trotz seiner nicht mehr ganz zeitgemäßen Methoden (selbst oder besonders zum damaligen Zeitpunkt) in seiner Vielschichtigkeit hervorragend. Beleuchtet die Geschichte aus diversen Blickwinkeln und wirft einen sehr kritischen Blick auf die angeblich kultivierte Zivilisations-Barbarei, der manchmal offensichtlich erst ihr hässliches Spiegelbild so direkt vor Augen geführt werden muss.
Autor: Jacko Kunze