Inhalt
Eine Familie kommt an einem herrlichen Sommertag zusammen, auf einem riesigen Anwesen in Kerrville, Texas. Für Barbara, die Mutter der Familie, gibt es an diesem Morgen nichts Wichtigeres, als ein Gruppenfoto zu organisieren. Doch plötzlich ist sie spurlos verschwunden, und von sämtlichen anwesenden Familienmitgliedern scheint sich einzig ihre Tochter Katy dafür zu interessieren, was mit der Mutter passiert ist. (IFFMH)
Kritik
gesehen im Rahmen des Internationalen Filmfest Mannheim-Heidelberg 2023
Wie Momentaufnahmen in einem Fotoalbum reihen sich in Family Portrait Szenen eines großen Familientreffens aneinander. Gespräche werden angerissen, Anekdoten aufgetischt wie das gemeinsame Essen, ein Gruppenfoto soll aufgenommen werden. Je weiter letzteres aufgeschoben wird, desto deutlicher wird der Kern Lucy Kerrs Langfilmdebüt, das viel eher als an seinen Figuren und deren Problemen an einem übergreifenden Stimmungsporträt interessiert ist, in welchem allmählich nicht nur die Grenzen der Wirklichkeit ausgetastet, sondern auch das Zeitgefühl sowie die Geduld der Figuren und des Publikums auf die Probe gestellt werden.
Häufiger als Aufnahmen, die man Jahre später als Andenken in einem Familienalbum wiederentdecken würde, entstehen dabei Beobachtungen des Dazwischens. Von Begegnungen zwischen den Mahlzeiten, zwischen nennenswerten Ereignissen der Zusammenkunft, Momente des Abwartens und Ausruhens, bevor sich der Zündstoff und die tieferliegenden Konflikte überhaupt entfalten können. Zunehmend eingeschnürt von kreisenden Themen, die kontrastierend zu dem sorglos und sonnig in Szene gesetzten Anwesen wiederholt den Tod, Vergänglichkeit und nicht zuletzt eine Pandemie ankündigen, driftet der Film von Beobachtung zu Beobachtung, ohne die Dynamik seiner Kamera wirkungsvoll auf die sperrigen Interaktionen seiner Figuren zu übertragen.
Unter das unaufgeregte Beisammensein der aufgrund ihrer Vielzahl nur schemenhaft umrissenen Charaktere mischen sich tragische Nachrichten und Ausfluchtsversuche, die trotz ihrer Bedeutung für die Figuren die Gestalt des Film selten aufzuwühlen wissen. Die Bestrebungen einzelner Figuren, die augenscheinlich heile Familienwelt, die ebenso offenkundig vor einem bedeutenden Wandel zu stehen scheint, in einem Schnappschuss festzuhalten, wirken aussichtlos, die oberflächlichen Gespräche, die tradierte Rollenverteilung und Exkurse zur Deutungshoheit über das Bildliche träge. Gerade die Auseinandersetzung mit Wirkweise und Macht von Bildern ist zwar nah am Zeitgeist und auf die Bilder des Films selbst übertragbar, allerdings ähnlich unausgereift wie das Familienporträt im Gesamten.
Schon lang bevor das Ausmaß der Covid-19-Pandemie von den Figuren überhaupt begriffen werden kann, sind in diesem einzelne Familienmitglieder unwiederbringlich isoliert. Kaum wahrgenommen unter anderen Verwandten, apathisch agierend und vom Film auch nur ähnlich zaghaft betrachtet. Tragödien zeichnen sich ab, jedoch meist als blasse Andeutungen in reizarmen Gesprächen. Es bleiben die Bilder, lange Einstellungen, die mehr als die Charaktere und ihre Worte zu begreifen versuchen, was genau geschieht und eine Reihe selten kraftvoller Versuche, die Emotionen der Figuren innerhalb kurzer Laufzeit zu komprimieren.
Fazit
Lose fügen sich in Lucy Kerrs "Family Portrait" die Flicken eines Familientreffens aneinander, welche in der hintergründig aufgebauten unheilvollen Stimmung und den sich ankündigenden Geschehnisse deutlich wirkungs- und auch reizvoller sind als in jenen, die letztlich gezeigt werden.
Autor: Paul Seidel