Inhalt
Michelle Bastien-Archers Mann Jermaine wurde 1998 wegen Totschlag zu 22 Jahren im Gefängnis verurteilt. Doch Michelle glaubt an seine Unschuld und kämpft seitdem darum, seinen Prozess wieder aufzurollen. Sie fast neue Hoffnung, als ihr Dokumente in die Hände fallen, die Zweifel an den Aussagen des Hauptzeugen aufwerfen und damit das gesamte Urteil infrage stellen könnten. Entschlossen will sie damit ihren Mann befreien.
Kritik
Michelle wartet sehnsüchtig auf die Entlassung ihres Ehemannes, der zu 22 Jahren bis lebenslänglich wegen Mordes verurteilt wurde. Michelle ist von seiner Unschuld überzeugt und kämpft jeden Tag für die Gerechtigkeit. So wunderbar sich diese Geschichte im Vorfeld auch anzuhören vermag, so enttäuschend ist die Umsetzung aus dramaturgischer Sicht, weil diese Doku so arm an Höhepunkten ist, dass sogar Momente, die sich potenziell dazu eignen, für etwas Spannung zu sorgen, völlig im Sande verlaufen. Dabei hat die Geschichte eigentlich so viel Interessantes zu bieten: Jermaine sitzt in Sing Sing für einen Mord, den er laut Michelle nicht begangen hat und gerade am Anfang suggeriert die Doku, dass Michelle für seine Freilassung kämpft und natürlich möchte man etwas mehr über die Tat erfahren, die ihm vorgeworfen wird, doch was man diesbezüglich zu hören bekommt, ist lediglich eine beiläufige Bemerkung und auch der sogenannte Kampf für Gerechtigkeit, dem sich Michelle hingibt, gestaltet sich als recht lahm, weil abgesehen von ein paar Szenen, in denen sie in die Bibliothek oder zu Post geht oder ein einziges Mal ihren Anwalt aufsucht, nichts geschieht, was die Bezeichnung „Kampf für Gerechtigkeit“ verdient hätte.
Sie ruft für seine Befreiung auf, aber im Grunde sind ihre Bemühungen so zaghaft und so wenig erfolgversprechend, dass man mit bloßem Auge erkennt, dass sie es genauso gut ganz lassen könnte. Wer die wahre Geschichte von Betty Anne Waters und ihrem Bruder kennt, der weiß genau, wie weit man für einen Menschen gehen kann, den man liebt. Betty Anne Walters hat für ihren im Gefängnis unschuldig eingesperrten Bruder den Schulabschluss nachgeholt und Jura studiert, um ihn zu befreien und sie hat nicht eher geruht, bis sie es geschafft hat. Und was macht Michelle in For the Time Being? Sie lebt in ihrer Fantasiewelt, in der sie endlich mit ihrem Mann zusammen sein kann. Sie demonstriert ein wenig hier und da und hält vor Freunden und Bekannten eine kurze Rede, in der sie sich Befreiung unschuldig eingesperrter Menschen wünscht. Wieso sollte das bitte erfolgversprechend sein? Aus rechtlicher Sicht ist For the Time Being eine Nullnummer. Michelle schickt einen Brief an die Kommission, die für fehlerhafte Urteile zuständig ist, und sie antworten ihr jahrelang nicht und sie akzeptiert es einfach so. Sie schafft es nicht einmal, dass ihr eigener Anwalt mit ihr spricht, denn ständig geht nur der Anrufbeantworter ran.
For the Time Being besteht sicherlich nicht aus juristischen Spitzfindigkeiten. Woraus besteht diese „geistreiche“ Dokumentation nun? Aus Telefonaten, die Michelle mit ihrem Ehemann führt, aus Szenen, in denen sie kocht, abwäscht, Auto fährt und über ihre Zukunft mit Jermaine redet. Würde Jermaine nicht gerade im Knast sitzen, hätte diese Doku nicht mehr zu bieten als das RTL 2-Nachmittagsprogramm. Außerdem dreht sich die ganze Doku fast ausschließlich um Michelle, sogar ihre eigenen Kinder spielen keine besondere Rolle und ihr Sohn scheint sich sehr unwohl vor der Kamera zu fühlen. Michelle betont immer wieder, dass ihre Kinder ihren Stiefvater, lieben und das, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht richtig kennen können, weil Michelle Jermaine erst kurz vor seiner Verhaftung kennenlernte und man zeigt auch nie, dass die Kinder mit ihr zum Gefängnis fahren, um ihn zu besuchen. Man hört eigentlich hauptsächlich Michelle reden und sie kommentiert das Ganze auch noch aus dem Off mit einer derart einschläfernden monotonen Stimme, dass man die Doku gerne als Einschlafhilfe benutzen könnte. Im Grunde passiert in Michelles Leben auch nichts Spannenderes als Gefängnisbesuche.
Man ist hier offensichtlich nicht in der Lage, die Spreu vom Weizen zu trennen und die Höhepunkte richtig zu setzen. Zwischendurch werden Polariodbilder von dem Pärchen gezeigt oder einzelne Szenen werden wie Dias eingeblendet und es ist alles sicherlich nett gemeint, aber derart amateurhaft umgesetzt, dass diese Doku überhaupt keinen Mehrwert für Menschen bietet, die Michelle oder Jermaine nicht kennen. Vor allem, weil die Doku sich zu 90 Prozent um Michelle dreht, die mehr an ihrer Selbstdarstellung als an der Befreiung ihres Mannes interessiert zu sein scheint. Sie wartet und wartet und wartet auf Ihren Mann und der Zuschauer wartet auch, bis die Doku vorbei ist und das Leiden endlich ein Ende hat. Damit ist keinesfalls Michelles Leiden gemeint, sondern das Leid der Zuschauer, die an Michelles Leben teilhaben durften.
Statt juristische Bücher zu wälzen und einen Weg zu finden, um ihrem Mann tatsächlich zu helfen, macht sie wie besessen Tausende von Polariodbildern und Selfies. Das kann man sicherlich auch machen und es ist ihr gutes Recht, aber muss man wirklich eine Doku über solche Banalitäten drehen? Wenn man eine These aufstellt, dass der Insasse unschuldig ist und man es mit einem Schreiben beweisen kann, weil der Zeuge bestochen wurde, dann tut man doch wohl alles, um den Zeugen ausfindig zu machen und man gibt nicht so schnell auf, wenn der eigene Anwalt nicht mehr ans Telefon geht. Doch wie inszeniert man Michelle stattdessen? Sie liegt oder sitzt auf der Couch und träumt davon, dass ihr Angebeteter aus dem Knast kommt. Wie soll es denn klappen, wenn kein einziger Mensch in dieser Doku auch nur ansatzweise etwas dafür tut, damit es auch klappt? Die juristischen Bemühungen sind hier mindestens genauso zielführend, wie einen Ozean in einem Wäschekorb zu überqueren.
Fazit
Enttäuschend, sowohl aus rechtlicher als auch aus dramaturgischer Sicht. Eigentlich in jeder Hinsicht! Michelle wartet auf Jermaine, der im Knast sitzt. Michelle kocht, Michelle fährt Auto, Michelle telefoniert und aus diesen Szenen besteht zu 90 Prozent die Doku. Es gibt keine Höhepunkte, keine Spannung und kaum Emotionen. Nur Michelle, Michelle und noch mehr Michelle. "For the time Being" ist leider zu einseitig und schlichtweg langweilig. Zu schade, dass man im Knast nicht drehen durfte. Das hätte der Geschichte wenigstens ein wenig Abwechslung verliehen.
Autor: Yuliya Mieland