Inhalt
Hochgeschnittene Hose, hautenges T-Shirt, kurze, blondierte Haare. Parvis lässt an seinem Geburtstag im Club eine Flasche vom Tresen mitgehen und feiert sich tanzend selbst. Der Sohn iranischer Eltern hat sich im Dachgeschoss des Elternhauses in einer ruhigen niedersächsischen Neubausiedlung eingerichtet, um sich zwischen Sexdates und Raves auszuprobieren. Nach einem Ladendiebstahl muss er Sozialstunden in einer Flüchtlingsunterkunft ableisten und verliebt sich dabei in Amon, der mit seiner Schwester Banafshe Arezu aus dem Iran geflüchtet ist.
Kritik
Mit seinem überzeugenden Darsteller-Trio, sympathischen Figuren und einem Berg komplexer Themen, erzählt aus der im hiesigen Kino vernachlässigten Perspektive in Deutschland geborener Kinder eingebürgerter Immigranten hat Faraz Shariats Debütfilm gute Voraussetzungen für erfrischendes deutsches Kino. Leider ist sein Hauptcharakter Parvis (Benjamin Radjaipour) nicht der einzige mit einem übergroßen Ego. Kein Wunder, ist doch der im spießigen Hildesheim festsitzende schwule Sohn iranischer Einwanderer quasi Alter Ego des Regisseurs, dessen Plot persönliche Erlebnissen als Sozialarbeiter verarbeitet.
So bremst die Handlung ein Hang des Regisseurs zu Narzissmus, der die interessanteren Aspekte der Story zugunsten von Nebensächlichkeiten vernachlässigt. Sobald Parvis beim Abstottern von Sozialstunden im Flüchtlingsheim in der wilden Banafshe (Banafshe Hourmazdi) eine Freundin findet und sich in ihren jüngeren Bruder Amon (Eidin Jalali) verknallt, ist er nicht mehr spannendste Figur einer Dreierkonstellation, überschatten von Selbstunsicherheit und drohender Abschiebung. Beide Aspekte betonen seine Privilegien als Deutscher aus materiell stabilen und emotional gefestigten Familienverhältnissen.
Während Parvis realisiert, wie bequem und sicher sein Leben im Vergleich zu dem der Geschwister ist, setzt Shariat die angeblich selbsterlangte Erkenntnis dramaturgisch nicht um. Mittelpunkt der von Beziehungskisten zu Hochdramatik abbiegenden Inszenierung bleibt immer Parvis, der sich gar zum Retter in der Not aufschwingt. Solche verkappte Selbstbeweihräucherung schadet der Figurenchemie. Noch schlimmer sind überflüssige Sexszenen und an drittklassige Musikvideos erinnernde Fantasy-Einschübe. Gelungene Gruppendynamik und Schauspielentdeckung Banafshe Hourmazdi sind dagegen nur ein begrenzter Trost.
Fazit
Autobiografische Inspiration ist zugleich Stärke und Schwäche der sprunghaften Kombination von queerer Romanze und Freundschaftsdrama. Die Verflechtung eigener Erfahrungen als Einwandererkind mit Erster-Hand-Berichten junger Flüchtlinge setzt zur konstruierten Liebesgeschichte einen authentischen Gegenpol. Dessen thematischer Anspruch überfordert Regieneuling Faraz Shariat ebenso wie der stimmige Abschluss der Parallelhandlungen. Das gut aufgelegte Ensemble tut viel zum Ausgleich der unübersehbaren inszenatorischen Mankos Berlinale Panorama Beitrags, in dem die bewegenden Geschichten unerzählt und die interessantesten Charaktere vernachlässigt bleiben.
Autor: Lida Bach