Inhalt
Franz kommt aus dem Gefängnis, Johanna singt in einer Bar: sie sind wieder zusammen. Aber Franz ist durch die lange Haft hypersensibilisiert, und er verlässt Johanna, weil er ihre Besitzansprüche spürt. Er sucht seinen alten Freund Günther und will mit ihm ein "Ding" drehen. In dieser Zeit lernt er Margarethe kennen, ein ganz normales Mädchen, weil es keine Ansprüche stellt.
Kritik
Wenn ein Regisseur in wilden Zuständen und kürzester Zeit so viele Werke aus dem Boden stampft, wie Rainer Werner Fassbinder das getan hat (der legendäre Kameramann Michael Ballhaus weiß selbst nicht, wie Fassbinder das geschafft hat - und er war dabei), dann herrscht schnell Verwirrung. So ist sich wohl auch niemand so richtig sicher, in welcher Reihenfolge Fassbinder seine Filme produziert hat. Die Reihenfolge von Wikipedia unterscheidet sich vor allem in den frühen Jahren grundlegend von der der IMDb oder der der Rainer Werner Fassbinder Foundation. Schenkt man letztgenannter all sein Vertrauen, so kann man davon ausgehen, dass „Götter der Pest“ Fassbinders zweiter Langspielfilm ist. Wikipedia spricht von seinem dritten Film. IMDb sortiert wieder anders und meint, es wäre sein fünftes Werk.
Mit absoluter Sicherheit lässt sich wohl nie klären, wann Fassbinder welchen Film gedreht hat, deshalb muss man Vermutungen verlautbaren. Eine würde der Rainer Werner Fassbinder Foundation Recht geben, da „Götter der Pest“ in Einzelheiten als ein indirektes Sequel zu „Liebe ist kälter als der Tod“ anzusehen ist. Andererseits widerspricht der inszenatorische Stil von Fassbinder dieser Reihenfolge durchaus, da er sich mit diesem Film erstmals von der statisch-theaterhaften Inszenierung entfernt, die seine Filme „Katzelmacher“ und auch „Die Niklashauser Fart“ kennzeichnete. Eigentlich tut dies auch nur wenig zur Sache, es sei denn man arbeitet sich entsprechend der Auteur-Theorie chronologisch durch das Werk des Fassbinder. Aber ob chronologisch oder nicht, irgendwann sollte man auf „Götter der Pest“ stoßen - das ist nämlich ein hervorragendes Werk.
Frisch aus dem Gefängnis entlassen, soll es der letzte Knastaufenthalt für Franz gewesen sein. In einem nicht enden wollenden Kreisgang beschreitet er den langen Weg von der Gefangenschaft an die Freiheit, die ihm gar nicht so frisch vorkommt, wie er sich wohl erhofft hat. Lang ist der Weg und beschwerlich, der hinaus ins Licht führt aus der Hölle. Ein Satz, dessen erster Teil durchaus passend ist, während der zweite Teil fälschlicherweise suggeriert, dass es in der Welt, in die Franz geht, einen Teil gäbe, der Licht und Freude verspricht. Den gibt es nämlich nicht. Zum ersten Mal ließ Fassbinder sich hier Kulissen errichten und nutzt diese Möglichkeit auf inspirierende und ausdrucksstarke Art und Weise. So folgen wir Franz und seinen Bekannten in angeranzte Toiletten, in denen illegal Roulette gespielt wird, der Zigarettenrauch so manches Gesicht verdeckt und jeglicher Gewinn von dem gefolgt wird, was in dieser Welt der Dunkelheit wohl obligatorisch ist; der Verlust, die Einsamkeit.
„Götter der Pest“ ist Fassbinders Entwurf des Gangsterfilms - eine trostlose Welt, in der die Figuren dem Untergang geweiht sind, aus dem sie, wenn überhaupt, nur kurz entfliehen können. Diese versuchte Flucht wird hier teilweise bebildert. Und wenn einem klar wird, dass diese jämmerlichen Versuche das beste sind, was den Figuren seit langer Zeit widerfahren ist und widerfahren wird, dann möchte man sich gar nicht ausmalen, was für eine Hölle auf die Charaktere wartet. Die Figuren leben in diesem Film in einer konstanten Fremde zueinander. Das ist wohl auch anders gar nicht möglich in dieser anonymen Großstadt, die nur aus dunklen Türen, zu langen Straßen und leeren Zimmern zu bestehen scheint. Leere Zimmer, in denen vielleicht ein bekanntes Gesicht wartet, vielleicht aber auch die Leere. Wahrscheinlich beides gleichzeitig. „Here we go again“ singt eine wunderbare Frauenstimme im Vorspann und lässt offen, ob das Freude oder Erschöpfung impliziert.
Die Figuren um Franz Walsch (gespielt von Harry Bear und gleichzeitig ein Pseudonym von Fassbinder) sind untereinander verfremdet. Gefühl und Intimität existieren nicht, was in einer großartigen Szene deutlich wird, in der Franz sich von seiner Schwägerin ausziehen lässt, bis er ganz nackt vor ihr auf dem Bett liegt. De facto eine Szene von hoher Brisanz, Fassbinder gelingt das jedoch mittels einer tollen Bildkomposition so sehr abzuschwächen, dass statt Knistern und Sensibilität nur deutlich wird, wie weit entfernt diese Menschen voneinander sind. Einem Kind nicht unähnlich liegt Franz da, später wird er noch Kinderlieder hören und Fassbinder in der Wohnung eine am Hals aufgehängte Puppe baumeln lassen - die Kindheit ist hier vorbei, nur noch eine vage Erinnerung. Zurück gibt es nicht, es bleibt nur das, was vor einem ist. Das Verderben dieser zynisch-korrupten Welt, in der nicht einmal Rache eine kathartische Relevanz besitzt.
Fazit
Ganz egal, ob „Götter der Pest“ Fassbinders zweiter, dritter, fünfter oder drölfter Film ist, er ist ein sehr guter Streifen. Der Filmemacher nutzt erstmals Kulissen und tut dies inspirierend kreativ, ob nun zur Charakterisierung der verrottenden Stadt oder zur Darstellung der Trauer im Inneren der Figuren. Waren „Katzelmacher“ und „Liebe ist kälter als der Tod“ noch recht steif und unterkühlt geraten, schafft Fassbinder hier eine emotionale Ruhe, die auch immer wieder in Verbindung mit Musik wunderbar funktioniert. Visuell ist der Film ein absolutes Fest für Genießer, so düster unübersichtlich und Noirish gehalten, dass man sich als Genrefan nur herrlich unwohl fühlen kann. Sehr sehenswert.
Autor: Levin Günther