Inhalt
Ein englischer Aristokrat und seine Frau erleiden irgendwo an Afrikas Küste Schiffbruch. Noch bevor die beiden ums Leben kommen, bringt die Frau ein Kind zur Welt und eine Horde Affen nimmt sich des Babys an. Viele Jahre später entdeckt eine Expedition den Affenmenschen (Christopher Lambert) und nimmt ihn mit nach Greystoke, dem Stammsitz der Familie. Jane (Andie MacDowell) versucht, ihn in die Gesellschaft einzuführen. Doch die moderne Zivilisation findet der junge Mann unerträglich.
Kritik
Er ist der Herr der Affen, der König des Dschungels und schwingt sich nur mit einem Lendenschurz bekleidet von Liane zu Liane, um am Ende seine Jane vor den bösen Männern zu retten. So oder so ähnlich dürfte die Vorstellung eines jeden sein, der an Tarzan denkt. Kein Wunder, wurde dieses Bild doch seit mehr als 100 Jahren in unzähligen Verfilmungen geprägt und fortan durch Darsteller wie Johnny Weissmüller (Tarzan, der Affenmensch), Lex Barker (Tarzan und das blaue Tal) und Ron Ely (in der gleichnamigen Serie Tarzan) aufrechterhalten. Auch die Disney-Version blieb diesem Bild treu. An der Originalgeschichte von Edgar Rice Burroughs halten sich diese Verfilmungen nur bedingt, weshalb man für Greystoke mit der Zeile „Tarzan, wie er wirklich war“ warb. Es sollte eine Verfilmung sein, die realistischer und originalgetreuer ist. Während man dem ersten Punkt noch zustimmen kann, stimmt die zweite Aussage nur teilweise, denn es gibt mehrere, sogar gravierende Abweichungen zum ersten Roman von Rice Burroughs, doch tatsächlich führen diese zu mehr Realismus in der Geschichte und machen Greystoke zu einer der besten filmischen Umsetzungen der Tarzan-Erzählung.
In der Buchvorlage entdeckt Tarzan in der Hütte, in der er mit seinen Eltern zunächst bis zu deren Tod lebte, Bücher, mit deren Hilfe er sich selbst das Lesen beibringt. Das ist jedoch absolut unplausibel, denn Tarzan hat die menschliche Sprache nie gelernt, da seine Eltern starben, als er noch ein Baby war und er seit dem bei den Affen aufwuchs. Der Film hingegen wählt eine weitaus nachvollziehbarere Erklärung, in dem Tarzan (Christopher Lambert, Highlander - Es kann nur Einen geben) die Sprache vom belgischen Forscher Phillippe D'Arnot (Ian Holm, Der Herr der Ringe - Die Gefährten) lernt, dem er das Leben rettet und der im Verlauf der Geschichte sein engster Vertrauter wird. Doch der größte Unterschied dürfte die Begegnung mit Jane (Andie MacDowell, Und täglich grüßt das Murmeltier) sein. Jane begibt sich weder in den Dschungel, noch muss sie von Tarzan gerettet werden. Sie treffen das erste Mal in Großbritannien aufeinander und generell weicht die Erzählung mit zunehmender Laufzeit vom Buch ab. Das stellt sich aber ganz klar als Vorteil für den Film heraus, denn Greystoke ist nicht nur realistischer dank dieser Abweichungen, sondern zugleich überraschender, dramatischer, emotionaler und düsterer. Wer glaubt, die Tarzan-Geschichte zu kennen, darf sich gern mit Greystoke auf eine andere Darstellung einlassen.
Tarzan ist keineswegs der klassische Held, der Retter der hilfebedürftigen Frauen, sondern er wird selbst als verletzlich dargestellt, als Mensch, der aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen wird und sich in der neuen, vermeintlich besseren Welt nicht zurechtfindet. Natürlich findet sich das genauso in vielen Verfilmungen wieder, die zeigen, dass Tarzan nicht viel mit der Zivilisation anfangen kann. Doch auch hier wagt Greystoke einen anderen Ansatz, der mehr Dramatik bietet. Tarzans Leben ist stets von Verlusten geprägt, doch in seinem Leben gibt es immer Menschen und Affen, die ihm Halt geben. Zunächst ist es die Affenfamilie, die ihn als Säugling aufnimmt und aufzieht und ihm Schutz vor anderen Mitgliedern der Affengruppe gewährt. Tarzan ist ein Außenseiter und muss sich in der Gruppe beweisen, was ihm mit zunehmendem Alter gelingt. Gut ein Drittel des Films verzichtet Regisseur Hugh Hudson (Die Stunde des Siegers) dabei fast vollständig auf die menschliche Sprache. Stattdessen begleitet man Tarzan durch den Dschungel und sieht ihn im Gefüge der Affen aufwachsen und den Umgang mit menschlichen Waffen und Gegenständen erlernen, die er in der Hütte seiner Eltern entdeckt. Die Dschungelatmosphäre trägt dabei in erheblichen Maße zum düsteren Grundton des Films bei und in den Kämpfen zwischen Tarzan und einigen Affen geht es teils recht brutal zur Sache. Doch Tarzan ist letztendlich vollwertiges Mitglied der Gruppe und damit gelingt Hudson ein ausdrucksstarkes Bild, dass eben nicht nur auf Äußerlichkeiten ankommt, sondern, dass man trotz vermeintlicher Unterschiede eine Familie sein kann, die zusammenhält. Familie muss nicht Blutsverwandtschaft bedeuten.
Das Gesamtbild rundet die gute Darstellung der Affen ab. Es handelt sich nicht um computeranimierte Figuren, sondern um Menschen in Kostümen, die recht realistisch wirken. Das fällt natürlich an der ein oder anderen Stelle trotzdem auf, aber wird durch das herausragende Spiel der Darsteller wett gemacht, die sich in ihren Bewegungsabläufen klar an ihren tierischen Vorbildern orientieren und sie gut imitieren. Auch Hauptdarsteller Christopher Lambert, der mit Greystoke ein beeindruckendes Hollywooddebüt gab, liefert eine perfekte Performance ab, die er selbst dann noch aufrechterhält, als er unter den Menschen auf dem Anwesen seiner Familie in Großbritannien lebt. Genau solche Details sorgen aber zugleich für eine besondere Glaubwürdigkeit in der Darstellung des Tarzans, denn es wäre doch viel unrealistischer, wenn er all seine über Jahre erworbenen Gewohnheiten in seinem neuen Lebensabschnitt über Bord geworfen hätte.
In seiner alten, oder besser neuen Heimat, findet Tarzan Halt bei seinem Großvater (Ralph Richardson, Richard III., posthum für seine Darbietung für den Oscar nominiert) und Jane. Sie sind seine Bezugspersonen, sie bieten ihm Schutz vor den Gefahren in der zivilisierten Welt, denn in dieser Welt wirkt Tarzan oft viel hilfloser, auch weil er sich den Gefahren nicht bewusst ist. Tarzan ist verletzlicher, sensibler und gerade nicht der machohafte Held, zu dem ihn viele andere Verfilmungen gemacht haben. Die Drehbuchautoren Robert Towne (Bonnie und Clyde) und Michael Austin (Am Rande des Abgrunds), beide ebenfalls oscarnominiert für das Drehbuch, zeichnen ein viel differenzierteres Bild des Dschungelhelden, ein Bild, welches ihn menschlicher wirken lässt. Die Grundbotschaft von Edgar Rice Burroughs bleibt indes dieselbe, wenn auch in Greystoke deutlich ausgeprägter. Es geht um den Umgang des Menschen mit der Natur, mit anderen Lebewesen und um den Wert der Familie, die nicht nur eine Familie im biologischen Sinne sein muss. Greystoke transportiert diese Botschaften in ein angemesseneres Zeitbild und verzichtet auf die Glorifizierung des Kolonialismus.
Fazit
Hugh Hudson gelingt es mit „Greystoke – Die Legende von Tarzan, Herr der Affen“ die alten bekannten Pfade der Tarzan-Erzählung zu verlassen und eine Neuinterpretation des Stoffes zu inszenieren, die nicht nur deutlich realistischer, sondern düsterer und emotionaler ist. Tarzan ist verletzlich und sensibel und nicht nur der lianenschwingende Held, der die hilflose weiße Frau retten muss. „Greystoke“ ist die bisher vielleicht beste Tarzan-Verfilmung und beweist, dass man sich nicht immer nur stur an die literarische Vorlage halten muss, um einen guten Film abzuliefern.
Autor: Andy Mieland