Inhalt
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wird der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi von den US-Behörden verhaftet. Er wird verdächtigt, die Terroristen, die die gekaperten Flugzeuge in das World Trade Center steuerten, unterstützt oder gar angeworben zu haben. Jahrelang sitzt er ohne Anklage und Gerichtsverfahren im Gefangenenlager Guantánamo Bay ein. Die Anwältin Nancy Hollander nimmt sich allen Anfeindungen zum Trotz des Falls an.
Kritik
Humanistischer Appell und Justizkritik sind letztlich auch nicht mehr als narrative Konventionen in Kevin Macdonalds (Life in a Day 2020) steifem Ermittlungsdrama. Handwerkliche Perfektion steht in krassem Kontrast zur inszenatorischen Eintönigkeit und dramaturgischen Blässe des alle Kardinalschwächen eines Berlinale Special Beitrags repräsentierenden Drama. Basierend auf dem Tatsachen-Bestseller Guantánamo Diary Mohamedou Ould Salahis, der acht Jahre ohne Anwalt und Prozess in dem berüchtigten Gefangenenlager einsaß, rezipiert der Plot Schritt für Schritt die Klischees der zum austauschbaren Hochglanz-Fabrikat kombinierten Genres.
Eine Portion Gefangenendrama erklärt, wie der Hauptcharakter (solide: Tahar Rahim, Die Schlange) zu seinem titelgebenden Spitznamen kam und umfassende Sprachkenntnisse erwarb. Eine Prise Justizfilm zeigt die auf eines jeden Grundrecht auf gerichtliche Verteidigung pochende Anwältin Nancy Hollander (wie immer exzellent: Jodie Foster, Love, Antosha) bei Übernahme und Ergründen des Falls, der exemplarisch die Menschenrechtsverletzungen der US-Regierung darlegt. Ein Schuss Ermittlungskrimi konfrontiert den ehrbaren Lt. Colonel Stuart Couch (Benedict Cumberbatch, Spider-Man: No Way Home) mit den Abgründen der Nation, für die er kämpft.
Die stolz vorgehaltene Systemkritik ist dabei voller taktischer Manipulation, welche die vorgebliche Aussage ins Gegenteil verkehrt. Einige vergleichsweise zahme Folterszenen erschließen nie die verzweifelte Ausweglosigkeit von Salahis Lage, deren zermürbende Monotonie durch Erinnerungsrückblenden abgemildert wird. Das Ausmaß des Unrechts filtert die empörte Perspektive der als Identifikationsfiguren dienenden Handlungsträger. Sie verkörpern das Ideal des amerikanischen Rechtsstaats, auf das sich Salahi in seiner Abschlussrede beruft. Statt dieses Konstrukt zu demontieren verpasst Mcdonald ihm einen teueren neuen Anstrich.
Fazit
Von der literarischen Vorlage über den Zusatz „nach wahren Begebenheiten“ bis zur renommierten Besetzung besitzt Kevin Macdonalds Prestigeprojekt alle Charakteristika eines Preiskandidaten. Nicht auf der Berlinale, wo er wohlweislich in die Special Sektion aussortiert wurde, dafür aber bei den Globes und Oscars. Ermüdend schematisch und ängstlich bedacht darauf, seine Message ebenso leicht verdaulich wie verständlich zu gestalten, verschenkt das konforme Justizdrama sowohl sein Darstellertalent als auch die Chance auf ein rechtspolitisches Statement mit mehrfachem Gegenwartsbezug.
Autor: Lida Bach