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Der Dokumentarfilm Jim & Andy: The Great Beyond feierte seine Premiere 2017 auf den 74. Filmfestspielen von Venedig. Er beleuchtet die Verbindungen zwischen dem US-amerikanischen Entertainment-Künstler und Komiker Andy Kaufman, seiner Alter-Ego-Kunstfigur des Tony Clifton und dem Schauspieler Jim Carrey.
Kritik
Wie steht es wirklich um Jim Carrey? Ist er verrückt? Ist er erleuchtet? Ist das alles nur ein großer PR-Gag? In den Medien ist Jim Carrey (I Love You, Philipp Morris) jedenfalls seit einiger Zeit wieder Gegenstand nicht gerade uninteressanter Diskussionen. Der Suizid seiner Ex-Freundin Catheriona White rief Carrey in der Öffentlichkeit nach Jahren der Abwesenheit erneut auf den Plan: War es der ehemalige Topverdiener der 1990er Jahre, der mit Die Maske, Ace Ventura und Dumm und dümmer Rekorde am Box Office sammelte, der die erst 28-Jährige in den Tod trieb? Und was hatte es mit dem legendären Interview auf der New York Fashion Week auf sich, welches von jetzt auf gleich eine immense Popularität im Internet sammeln konnte?
Ist Jim Carrey krank? Oder sieht er klarer, denn je? Oder, wie gesagt, ist das alles nur ein großes Täuschungsmanöver, um die Welt hinters Licht zu führen. Fragen, die man auch auf den in Deutschland weitestgehend unbekannten Andy Kaufman beziehen kann. Der Entertainer und Performancekünstler wurde in den Vereinigten Staaten für seinen ultimativ herausfordernden Anti-Humor berüchtigt, der Zuschauer immer wieder gnadenlos vor den Kopf gestoßen hat. Blickt man heute in der Retrospektive auf das Jahr 1999 zurück, in dem Jim Carrey Andy Kaufman im brillanten Der Mondmann porträtiert hat, scheinen sich einige deutliche Überschneidungen zwischen den beiden, sagen wir, eigenwilligen Persönlichkeiten aufzutun. Wie nah sich Carrey und Kaufman allerdings wirklich standen, zeigt die Doku Jim & Andy: The Great Beyond nun wunderbar auf.
20 Jahre wurden das Material, welches einen Blick hinter die Kulissen der Dreharbeiten von Der Mondmann erlaubt, unter Verschluss gehalten. Man munkelt, um die Reputation von Jim Carrey zu bewahren. Jim & Andy: The Great Beyond greift nun dieses Behind the Scenes-Footage auf und lässt es von Carrey in der Gegenwart, mit prägnant-wucherndem Vollbart, kommentieren und reflektieren. Führt man sich indes Der Mondmann zu Gemüte, auch ohne jeden Funken an Hintergrundinformationen, so ist doch augenfällig, dass Carrey voll und ganz hinter dem Charakter des Andy Kaufman verschwindet. Die völlige Mimikry-Selbstaufgabe. Vielleicht aber verschwindet er gar nicht wirklich, sondern verschmelzt mit ihm, sie werden zu einer Person, zu einer Einheit. Chris Smith (Collpase of the Living Dead) bestätigt diese Vermutung in seiner Dokumentation – und dafür dürfen wir ihm unglaublich dankbar sein.
Jim & Andy: The Great Beyond liefert nicht nur Antworten darauf, wie es gewesen ist, als Jim Carrey zu Andy Kaufman wurde und in den Abgrund des Method Acting starrte. Chris Smith hat hier im Allgemeine eine ungeheuer sinnstiftende Meditation über den Käfig der eigenen Starpersona erschaffen. Die ständige Suche nach Aufmerksamkeit, die Verwirrung, Enttäuschung, aber auch die erfüllten Träume, die diese Branche mit sich bringt, werden in der Psychografie zweier begnadeter Künstler abgetastet. Während Andy Kaufman alles zerstörte, was das Medium Fernsehen ausmachen sollte, war es Jim Carrey, der sich allen abstrakten Strukturen des Seins verschloss und mit der Darstellung von Andy Kaufman eine Art (selbst-)therapeutischen Urlaub von sich selbst genommen hat. Man möchte es nicht glauben, aber Jim & Andy: The Great Beyond bestätigt sich als dokumentarischer Existenzialismus.
Aber ist Jim Carrey nun geisteskrank oder erleuchtet? War Andy Kaufman wahnsinnig oder schlicht brillant? Diese Fragen vermag Jim & Andy: The Great Beyond nicht zu beantworten, eben in dem Wissen, dass es vermessen wäre. Stattdessen lässt er Carrey selbst zu Wort kommen, der sich als gezeichneter, emotionaler Mensch zeigt und inmitten des anekdotischen Rekapitulierens sein eigenes, offenkundig ramponiertes Seelenleben offenbart. Interessant ist, dass sich Jim & Andy: The Great Beyond in jeglicher Hinsicht als akkurates Komplementärstück zu Milos Formans Der Mondmann lesen lässt. Denn nicht nur funktioniert die Dokumentation als eindringliches, nicht zuletzt berührendes Protokoll der Ängste, sondern auch als Abhandlung über Schein und Sein. Was nun wirklich real ist und was nicht, kann, wie auch schon bei Andy Kaufman, letztlich nicht aufgelöst werden. Vielleicht setzt sich Carrey auch hier selbst in Szene und plant einen der größten Pranks der Mediengeschichte. Aber wenn er es so sinnbringend tut, dann nehmen wir das gerne in kauf.
Fazit
Nach 20 Jahren ist es uns nun erlaubt, einen Blick auf das Material zu werfen, welches während der Dreharbeiten zu "Der Mondmann" entstanden ist. Mit "Jim & Andy: The Great Beyond" zeichnet sich Chris Smith für eine in jeglicher Hinsicht beeindruckende Dokumentation verantwortlich. Nicht nur als Diskurs über den Käfig, in den man als Star zwangsläufig gesperrt wird, sondern auch als Reflexion über Schein und Sein, sowie als berührendes Psychogramm zweier Ausnahmekünstler. Aber, wer weiß, vielleicht ist das auch nur alles Teil einer großen Täuschung? Wenn ja: Dankeschön, dass dies so sinnstiftend vonstatten ging.
Autor: Pascal Reis