Inhalt
Seit 20 Jahren geht Lulu seiner kräftezehrenden Arbeit in einer Fabrik nach. Während um ihn herum der Ruf um bessere Arbeitsbedingungen immer lauter wird, will er nichts davon hören. Bis er während der Arbeit einen Finger verliert und zur Symbolfigur des Streiks wird.
Kritik
Nach seinem Oscar-prämierten Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger setzt Elio Petri seine „Neurotische Trilogie“ mit Die Arbeiterklasse geht ins Paradies fort. Seiner Grundthematik über die Entmenschlichung des Individuums und den Missbrauch von Machtverhältnissen innerhalb eines im Grunde genommen dysfunktionalen, jedoch absolut der Realität entsprechenden Gesellschaftsmodells bleibt er treu, wählt diesmal jedoch ein gänzlich anderes Szenario. Alles beim Alten bleibt es bei der Besetzung der Hauptrolle: An seinem Lieblingsdarsteller Gian Maria Volonté (Zwei Särge auf Bestellung) kommt der Filmemacher natürlich nicht vorbei.
Volonté spielt Ludovica, genannt Lulu, der seit 20 Jahren an der Drehbank einer großen Fabrik im Akkord schuftet. Wie hunderter andere steht er in aller Frühe auf und wartet schon vor den Toren, um für acht Stunden seiner monotonen Arbeit unter Hochdruck nachzugehen. Immer schneller, immer höhere Stückzahlen, nur so ist es ihm möglich genug Geld für sich und seine Familie zu verdienen. Dabei hat ihn seine Frau samt des gemeinsamen Sohns eh schon verlassen und auch seine neue Lebensgefährtin verliert langsam die Lust an dem frustrierenden, kräftezehrenden Alltag. Völlig erschöpft und verbittert ist mit dem Mann am Rande des körperlichen und geistigen Kollaps nach Feierabend rein gar nichts mehr anzufangen. Dennoch ist Lulu so was wie ein Vorzeigearbeiter. Immer in dem Bestreben, alle betrieblichen Vorgaben zu erfüllen und die Schlagzahl sogar freiwillig zu erhöhen, denn mehr Arbeit bedeutet am Ende mehr in der Lohntüte. Von seinen Kollegen erntet er dafür nicht gerade Beifall, werden sie doch an seinem Ehrgeiz gemessen. Als er bei einem Unfall allerdings einen Finger verliert, ändern sich seine Ansichten schlagartig. Er schließt sich dem aufkeimenden Widerstand an und wird zur Gallionsfigur des Streiks. Doch wie schon zuvor steigert er sich auch in diese Rolle mit Haut und Haar hinein, was fatale Konsequenzen für ihn selbst mit sich bringt.
Elio Petri vermischt bei seiner beißenden, unbequemen und von einer fiebrigen Nervosität vorangetriebenen Gesellschaftsparabel Elemente des Neorealismus mit der leicht überzeichneten Stilistik einer fast dystopisch anmutenden Bestandsaufnahme, die an Stanley Kubrick (Uhrwerk Orange) oder Terry Gilliam (Brazil) erinnert. Die Arbeiter ziehen jeden Morgen wie aufs Schlachtfeld in die Fabrik, untermalt von einer Mischung aus Marschmusik und maschinellen Taktgeräuschen. In einem beinah grotesk dargestellten Kampf zwischen einer diktatorischen, kapitalistischen Hierarchie und den extrem sozialistisch radikalisierten Gewerkschaftlern und Studenten. In ihrer Mitte stehen die, die es eigentlich betrifft. Die Arbeiter, die ihr Geld verdienen müssen und zum Spielball eines Klassenkampfes werden, ob sie es wollen oder nicht. Gian Maria Volonté glänzt dabei als symbolträchtiges Bauernopfer, das ungewollt von beiden Seiten instrumentalisiert und manipuliert wird und sich wegen seines natürlichen Ehrgeizes und antrainierten Durchhaltevermögens irgendwann völlig in dieser Maschinerie aufreibt. Während beide Parteien nur ihr jeweiliges Ziel im Auge haben, wird das Individuum auf dem Weg dahin zermahlen, wenn es am Ende den Erfolg rechtfertigt. Mit böser Zunge kritisiert Elio Petri die kompromisslose Borniertheit an beiden Enden der sozialen Gerechtigkeit und macht anhand des zynischen Schicksals seines bemitleidenswerten Protagonisten deutlich, wie wenig der Einzelne im Schwanzvergleich der System wert ist.
-„ Was denkst du, arbeiten sie im Paradies auch im Akkord?“
-„ Wer kann das wissen, es war noch keiner dort.“
Fazit
Ein brodelnder, unbequemer, faszinierender und provokanter Unruhestifter. Elio Petri erweist sich abermals als spitzfindiger und galliger Analyst sozial-gesellschaftlicher Befindlichkeiten, ohne seine persönliche, politische Gesinnung dabei zu hofieren. Um beobachtende Neutralität bemüht wird der Radikalismus zu beiden Seiten entblößt und damit auch das Unheil, was im Einzelfall dadurch ausgelöst werden kann.
Autor: Jacko Kunze