Inhalt
Heruntergekommen, verwirrt und sichtlich zugedröhnt streift Blake durch den Wald nahe seines Anwesens. Der Rockmusiker lebt zurückgezogen mit vier Freunden, die sich jedoch reichlich wenig um Blakes Zustand scheren. Regelmäßig knüpfen sie dem psychotischen jungen Mann Geld ab und feiern ausgelassen, während Blake sich immer weiter zurückzieht. Die meisten Menschen scheinen ihn aufgegeben zu haben und auch die Chefin seines Plattenlabels kann ihn nicht dazu überreden, einen erneuten Entzug anzutreten. Eine drohende Katastrophe ist unausweichlich...
Kritik
Ohne klar erkennbaren Kontext existieren die jeweiligen Szenen in Gus Van Sants Last Days ausschließlich im Hier und Jetzt. Nichtsdestotrotz dauert es nicht lange, bis die meisten Zuschauer erkannt haben dürften, an welche Person der überaus verwirrte junge Mann erinnern soll, der zu Beginn des Films durch die Wälder stolpert und nahezu unverständliche Satzfetzen vor sich hin stammelt und murmelt. Die längeren blonden Haare und die Augen, denen eine ständige Verlorenheit eingeschrieben ist, lassen Nirvana-Frontsänger Kurt Cobain (Kurt & Courtney) sichtbar werden, auch wenn der Rockmusiker in Van Sants Werk auf den Namen Blake hört. Ursprünglich war Last Days von dem Regisseur tatsächlich als Biopic über Cobain geplant, doch seine Sorge war zu groß, dass die drastische Realitätsnähe Hinterbliebene der Ikone wie dessen Witwe Courtney Love (Larry Flynn - Die nackte Wahrheit) zu sehr verletzen könnte.
Nachdem Van Sant über einen längeren Zeitraum hinweg ein gutes Verhältnis zu Love entwickelte, entschied er sich aus Respekt ihr gegenüber dazu, seinem Protagonisten einen anderen Namen zu verleihen und überdeutliche biografische Details vollständig aus seiner Geschichte zu tilgen. Entstanden ist hierbei ein Film, der als finaler Teil von Van Sants sogenannter Death-Trilogie konzipiert wurde, die der Regisseur zuvor mit Gerry und Elephant begonnen hatte. Gelang es ihm mit diesen experimentellen Werken von sperriger Qualität bereits, das Publikum massiv zu spalten und zu regen Diskussionen anzuregen, erweist sich auch Last Days als ungemein irritierender Film, der Lethargie, Manie, Paranoia und Depression zum konsequenten Formprinzip erhebt. Jegliche Art von dramaturgischem Spannungsbogen geht dem Streifen vollkommen abhanden, stattdessen folgt Van Sant Blake, der ohnehin nur noch körperlich auf dieser Erde anwesend zu sein scheint, bei den finalen 5 Tagen seines Lebens.
Dabei lassen sich die geschilderten Tage in Last Days kaum als solche identifizieren. Zu sprunghaft, losgelöst von linearen Strukturen und vage zwischen eindeutigen Uhr- und Tageszeiten angesiedelt entfaltet sich das unkonventionelle Drama als Studie einer von Drogen, Ruhm und anderen tief sitzenden Problemen zerfressenen Seele, die der Regisseur mit zermürbender Radikalität beobachtet. Dass dem Film vermehrt vorgeworfen wurde, er würde sich lediglich an der Oberfläche bewegen und in das Innenleben der Hauptfigur kaum vordringen, liegt daran, dass Van Sant die Psyche sowie das subjektive Wahrnehmungsempfinden von Blake von der ersten Szene an nach außen kehrt. Hierdurch ist die Oberfläche längst zugleich Innenleben. Damit bedient er sich ähnlicher Stilmittel wie beispielsweise einige Jahre zuvor Darren Aronofsky für Requiem for a Dream. Das MTV-ähnliche Schnittinferno sowie die kribbelige Hypernervosität, die Aronofsky seinem Film verliehen hat, tauscht Van Sant gegen komatös anmutende Einstellungen, die das Leben des Protagonisten als ziellose Hölle aus permanenter Langeweile, irrationalem Unverständnis sowie weggetretener Passivität einfangen.
Wie ein zugedröhntes, unzurechnungsfähiges Phantom wandelt Blake durch die Schauplätze der zerschossen wirkenden Handlung, die der Regisseur auf das graue, in Stein gebaute Anwesen des Musikers sowie Teile darum beschränkt. Hier befinden sich zusätzlich noch einige von Blakes Freunden, die ihn die meiste Zeit kaum noch wahrzunehmen scheinen und nur dann auf ihn zugehen, wenn sie Geld von ihm brauchen. In den Szenenfolgen, die Van Sant wie auch schon in der hypnotischen Amoklauf-Studie Elephant als flüchtige Momentaufnahmen anordnet, die nur widerwillig ein Gesamtbild ergeben wollen, rückt der Regisseur außerdem immer wieder eine Schrotflinte ins Bild, mit der Blake wie mit einem Spielzeug hantiert. Es ist dieselbe Waffe, mit der sich der reale Cobain im April des Jahres 1994 in den Kopf schoss, um die damals populäre Grunge-Bewegung zu einem tragischen Niedergang zu führen.
In Last Days wird dieser fatale Schuss nie zu sehen oder zu hören sein. Van Sant kreiert keinen Mythos, der mit einem urplötzlichen Knall seinen traurigen Höhepunkt erreichen wird, sondern erzeugt ein deprimierendes, lähmendes Abebben, das dem Untergang einer Ikone auf nüchtern-unspektakuläre Weise nachspürt. Nur zweimal zeigt der Regisseur Blake überhaupt beim Musizieren, wenn Hauptdarsteller Michael Pitt (Die Träumer) eigene Songs auf der Gitarre spielt und singt. In den restlichen Szenen von Last Days verschwimmt das surreale Sound-Design durch das Plätschern eines Baches, der nicht zu sehen ist, oder durch läutende Kirchenglocken, zu denen die dazugehörige Kirche fehlt, zu einer Symphonie des qualvollen Dahinschwindens, bis Blakes Seele schließlich ihrem verlebten Körper entsteigen darf.
Fazit
Weniger konventionelles Musiker-Biopic als vielmehr radikale Studie einer von verschiedensten Problemen geplagten Künstler-Seele ist "Last Days" von Gus Van Sant ein sperriges Drama, in dem das lethargische, wirre Innenleben der Hauptfigur konsequent zur Ästhetik des Films erhoben wird. Auch wenn Protagonist Blake deutlich an Nirvana-Frontsänger Kurt Cobain angelehnt ist, verzichtet Van Sant auf überdeutliche biografische Details und formt mithilfe von nonlinearen Szenenfolgen, einem surrealen Sound-Design und Beobachtungen, die zwischen banal und bedeutsam schwanken, das Porträt eines Drogenabhängigen, der die letzten Meter seiner schwindenden Existenz verlebt. Keine leichte Kost, aber in seiner Radikalität zweifelsohne beeindruckend.
Autor: Patrick Reinbott