Inhalt
Nach vielen Jahren tauchen Suzanne und ihre beiden Kinder unerwartet im Haus ihrer Schwester Jeanne auf. Zunächst scheint es, als versuche Suzanne zaghaft, die Beziehung zu ihrer Schwester wiederherzustellen. Doch diese Illusion zerplatzt im Morgengrauen: Suzanne ist verschwunden … Nathan Ambrosionis intimer Film porträtiert eine Frau, die gezwungen ist, Mutter von Kindern zu werden, die sie kaum kennt.
Kritik
Sie habe Glück gehabt, sagt Camille Cottins (The Empire) Protagonistin in einer von mehreren verräterischen Szenen, in denen der konservative Konformismus und die manipulative Melodramatik Nathan Ambrosionis (So sind wir, so ist das Leben) schauspielstarken Familiendramas kulminieren. Die seit eines Besuchs ihrer jüngeren Schwester Suzanne (Juliette Armanet, Partir un jour) radikal veränderte Situation der privilegierten Protagonistin so zu beschreiben, grenzt schon an Zynismus. Vielleicht ist es auch schlicht die reaktionäre Paternalismus einer Inszenierung, die ihren familiaristischen Fundamentalismus und ihre normativen Dogmen hinter gediegenen Kameraaufnahmen, eleganten Szenenbildern und fähigem Schauspiel versteckt.
Die reaktionären Tendenzen der in stylischer Hochglanz-Bilder gefassten Story lässt schon die Prämisse erahnen. Jeanne lebt zufrieden, wohlhabend und bewusst kinderlos als erfolgreiche Geschäftsfrau mit ihrer langjährigen Partnerin Nicole (Monia Chokri, Love Letters). Zu Suzanne hat sie eine eher distanzierte Beziehung. Die Gründe dafür liefert der Regisseur und Drehbuchautor nie, selbst nicht in einer unglaubhaften Aussprache, die genau das vorgibt. Doch die diametral entgegengesetzten Lebensentwürfe der Schwestern sprechen indes Bände. Suzanne ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder, mit denen sie Jeanne überraschend besucht.
Was als improvisierter Kurzaufenthalt gedacht war, wird zum Dauerarrangement; jedenfalls für die Kinder im Alter von neun und sechs Jahren, die Suzanne heimlich zurücklässt. Eine Notiz und ihr Verhalten deuten darauf hin, dass sie nicht gefunden werden will und ihrer Jeanne ihren Nachwuchs überlässt. Die durch und durch heteronormativ wirkende Heldin folgt dem Vorbild unzähliger weiblicher Filmfiguren erfolgreicher Single-Frauen, die plötzlich ein Kind aufgedrängt kriegen: Sie mutiert zur Über-Mama und könnte laut der plumpen Dialoge nicht glücklicher sein.
Das Mysterium Suzannes Verschwindens dient dem abstrus überkonstruierten Plot lediglich als narrativer Notnagel. Die Absurdität dieses dramaturgischen Vehikels unterstreicht der Umstand, dass Jeanne Suzannas Verbleib nicht ansatzweise so viel Aufmerksamkeit schenkt wie den Kindern. Jene erscheinen äußerlich und charakterlich tadellos. Zwei perfekte Miniatur-Mittelstandsmenschen, wie sie nur auf der Leinwand existieren. Die sich aufdrängende Themenkomplexe - familiäre Verantwortung, Verlassenheit und die rechtlichen Grauzonen freiwillige Verschwindens in Frankreich - blendet das didaktische Drama ebenso aus wie queere Familienmodelle.
Fazit
Was Nathan Ambrosioni als französisches Gefühlskino mit Arthouse-Anstrich präsentiert, bleibt dramaturgisch entleertes Schauspielkino, das sich hinter bedeutungsschweren Blicken und ästhetischem Design versteckt. Camille Cottins und Monia Chokris darstellerische Präsenz kann die intellektuelle und sozialstrukturelle Leere nur bedingt füllen. Die arrivierte Inszenierung verliert sich in narrativer Beliebigkeit, verschleppt jede Spannung und polstert das Nichts mit konservativer Familienrhetorik und queerfeindlichem Subtext. Der vielversprechende Plot versickert in konturlosem Pathos. Statt Analyse familiärer Rollen dominiert psychologische Oberflächlichkeit. Ein akkurat gefilmtes Ärgernis voll bieder-bürgerlicher Banalität und bigotter Behauptung.
Autor: Lida Bach