Inhalt
Nach einer Infektion im Kleinkindalter ist Helen Keller taubblind. Ende des 19. Jahrhunderts eine praktisch nicht zu kompensierende Behinderung. Das inzwischen 12jährige Mädchen kann nicht mit der Außenwelt kommunizieren und verhält sich in der Folge wie ein wildes Tier. Die verzweifelten Eltern engagieren die selbst sehbehinderte Hauslehrerin Anne Sullivan, die im ersten Moment äußert radikal anmutenden Methoden anwendet, die jedoch langsam Erfolg zeigen.
Kritik
Dank Filmen wie Bonnie und Clyde, Little Big Man, Die heiße Spur oder Duell am Missouri zählt Arthur Penn zu den wichtigsten Regisseuren des New Hollywood, seinen großen Durchbruch feierte er aber schon ein paar Jahre zuvor durch ein – für damalige Verhältnisse ähnlich ungewöhnliches – Projekt, das ihm offenkundig sehr am Herzen gelegen haben muss. Für die TV-Reihe Playhouse 90, in der 90minütige Live-Stücke aufgezeichnet wurden, inszenierte der bis dato relativ unbekannte Regisseur 1957 die Episode The Miracle Worker. Das Skript stammte von William Gibson, der dabei die Autobiographie von Helen Keller adaptierte. Die seit frühester Kindheit taubblinde Keller galt als hoffnungsloser Fall, bevor sie 1887 durch ihre Hauslehrerin Anne Sullivan mühsam die Gebärdensprache erlernte und in der Folge zu einer hochgebildeten Frau heranwuchs, die trotz ihrer seinerzeit quasi nicht kompensierbaren Behinderung ein erfülltes Leben genoss.
Penn und Gibson waren auch für die Broadway-Adaption verantwortlich, die von 1959 über 700-mal aufgeführt wurde. Die Stars waren damals die unbekannten Darstellerinnen Anne Bancroft (Die Reifeprüfung) in der Rolle der Anne Sullivan und die 12jährige Patty Duke (Das Tal der Puppen). Als 1961 ein Kinofilm in Produktion ging, war Arthur Penn aufgrund des großen Erfolges des Bühnenstücks auch erste Wahl für den Regieposten, nicht aber seine beiden Hauptdarstellerinnen. Patty Duke galt als zu alt für die Rolle (wobei die reale Helen Keller beim hier beschriebenen Zeitpunkt sogar erst 7 Jahre alt war, von daher war sie schon immer „zu alt“) und Anne Bancroft war für United Artists nicht bekannt genug. Das Studio präferierte Elizabeth Taylor (Cleopatra) oder Audrey Hepburn (Frühstück bei Tiffany), was Penn kategorisch ablehnte und auf sein erprobtes Duo bestand. Infolgedessen wurde das Budget um über 50% reduziert (was aufgrund der vermutlich deutlich geringeren Gagen aber wohl nicht kriegsentscheidend war), aber der Regisseur konnte seinen Willen durchsetzen. Wie sich herausstellte, eine auch aus Studiosicht goldrichtige Entscheidung. Sowohl Anne Bancroft als auch Patty Duke wurde mit einem Oscar für ihre Leistungen belohnt. Für Bancroft der Beginn einer langen Karriere, für Duke der Höhepunkt einer tragischen Existenz, wie für so viele Kinderstars ohne ein solides Umfeld.
Die Herkunft als Live-Play bzw. Bühnenstück ist natürlich unverkennbar, aber gerade das ist die große Stärke von Licht im Dunkel. Speziell beruhend auf der Tatsache, dass Arthur Penn bereits beides inszeniert hatte und somit exakt wusste, wie er es bestmöglich auf die Kinoleinwand transportieren konnte. Im Fokus steht ganz klar das Zusammenspiel der Darsteller*innen, insbesondere natürlich das von Bancroft & Duke. Beide meistern ihre herausfordernden Rollen mit Bravour, was ohne Zweifel auf ihr lang erprobtes Zusammenspiel zurückzuführen ist. Das ist an wie selbstverständlicher Chemie und besonders Intensität kaum zu übertreffen. Ein schier atemberaubendes Highlight ist die erste Diner-Szene der beiden, die sich über eine gefühlte Ewigkeit von enormen psychischen wie physischen Strapazen erstreckt. Ein Kraftakt, der in der Tat seinesgleichen sucht. Dieses Impulsive und Aufbrausende scheint im ersten Moment alles und jedem die Show zu stehlen, aber auch und besonders die beinah intim-ruhigen Situationen sind es, die Licht im Dunkel so mitreißend und berührend gestalten.
Das hat in bestimmten Szenen – speziell dem Finale – natürlich einen sehr theatralischen Touch, aber unterm Strich ist das nun mal auch kaum etwas anderes als abgefilmtes Theater. Inszenatorisch hier und da angepasst, schlussendlich aber von Auftreten und Effekt identisch. Ist das zwangsweise ein Problem? In manchen Fällen schon, bei Licht im Dunkel aber eindeutig nicht. Durch dieses bewusst Darsteller*innen-fokussierte, Bühnen-artige Wesen entledigt er sich gleichzeitig auch (fast) jedweder filmischen Taschenspielertricks und zeigt sehr deutlich auf, was er uns wie präsentieren will. Seht zu und fühlt mit, lasst euch von den Künstler*innen vor der Kamera mitreißen, der Rest ist nur die Bühne. Da fällt auch der Kritikpunkt, dass der reale Hintergrund natürlich sehr vereinfacht, angepasst und komprimiert wurde fast wie selbstverständlich hinten runter, denn das ist kein – wie heute gewohnt – ausführlich-korrektes Biopic (was oft auch diesem anstrengenden „Abklapper-Fluch“ zum Opfer fällt), sondern ein (über)dramatisiertes Stück, das den Kern dieser Geschichte auf das Essentielle glasklar und extrovertiert herunterbricht. Das birgt viel Potential zum Scheitern, aber so präsentiert wie hier (insbesondere zum damaligen Zeitpunkt, werden hier doch gleich mehrere Tabuthemen sehr deutlich zur Sprache gebracht) ist es eine gewagte Meisterleistung, die trotz ihrer augenscheinlich konservativ-klassischen Präsentation in gewisser Weise bereits den Grundstein für das inhaltlich Regeln-aushebelnde, Außenseiter-konzentriertes Kino des New Hollywood legte. Und wer wäre dafür prädestinierter als Arthur Penn?
Fazit
Intensives, fulminantes Schauspieler*innen-Kino, das zwar eine noch viel komplexere Lebensgeschichte relativ vereinfacht - in gewisser Weise sogar plakativ – herunterbricht, was ab auch in seiner Grundlage eines Bühnenstücks begründet ist. Bezogen auf die Umsetzung eines solchen aber nahezu ideal.
Autor: Jacko Kunze