Inhalt
Christine ist von Kindheitstagen an den Rollstuhl gefesselt. Sie lässt sich zu einer Pilgerreise nach Lourdes überreden, auch wenn sie dem Wunderglaube skeptisch gegenüber steht. Im Gegensatz zu einigen der anderen kranken Mitreisenden erwartet sie nichts von den diversen Anwendungen wie dem Baden oder dem Berührend der Felsen der Grotte. Doch sie findet Gefallen an einem der Begleiter ihrer Gruppe, einem Freiwilligen des Malteserordens, der sich rührend um sie kümmert. Dann geschieht tatsächlich ein Wunder.
Kritik
Der Heiligenschein der Jungfrau Maria ist aus Neonglas. Nicht trödeln in den Grotten, andere wollen auch den Fels berühren. Wer einen guten Platz in den Bädern ergattert, hat Glück gehabt. Die Pilgerreise nach Lourdes ist Pauschalurlaub für Erlösungssuchende, für die es keine Erlösung gibt. Manche sind streng religiös, andere klammern sich an das Wunder aus schierer Verzweiflung, wie man in der Not auf einen Glücksbringer wünscht. Wunder geschehen ja in der Bibel auch und besonders denen, die nicht daran glauben. Rom gefiel Christine (Sylvie Testud) besser. Mehr Kultur. Im Titelort von Jessica Hausners unterkühltem Gesellschaftsbild geht es profaner zu. Hier kann man Heiligenfigurinen in Souvenirläden kaufen. Der beste Pilger gewinnt so einen Lückenfüller der richtig hässlichen Sorte zum Reiseende. Die gelähmte Christine interessiert sich dafür nicht, sie ist nur angereist, um ihrem deprimierenden Alltag zu entkommen.
Hausner hat keinen Nerv dafür, das Unerträgliche zu verschnörkeln und so zu tun, als mache das Leben mit schrecklichen Krankheiten genauso viel Spaß, weil man ja seine abwechslungsreiche Phantasie hat. Christines junge Pflegeschwester Maria (Lea Seydoux) ekelt sich davor, die Gelähmte zu umsorgen. Nur die alte Madame Hartl (Gilette Barbier) kümmert sich um Christine und betet stumm, doch um etwas anderes als die übrigen Pilger. Eines Morgens kann Christine aufstehen. Doch Gott ist wankelmütig in der feinfühlig gespielten Parabel. Noch unbeständiger sind die Menschen. Neidvoll betrachten die Mitreisenden die wundersam Genesene. Mit bitterem Spott enthüllt die Filmemacherin eine bizarre Komik in dem Sammelbecken von Kommerz, Frömmelei und Scheinheiligkeit. Als die Hauptfigur sich plötzlich normal bewegen kann, ist jede ihrer Handlungen applauswürdig. Wer würde nicht einmal gern Beifall dafür kriegen, einen Eisbecher zu essen? Den Pilgerpreis (hässliche Heiligenfigur) gibt es auch für Christine, doch der wird ihr nach dem grausamen Ende wohl wieder aberkannt werden. Im Pilgerort sind alle Konkurrenten.
Eifrig sinniert man über das rechte Maß im Beten. Zuviel sei nämlich auch nicht gut. Göttliche Gnade ist eine begrenzte Ressource. Die Heilkraft reicht nicht für alle. Wird sie einem Bittsteller gespendet, muss sie anderen genommen werden. Intuitiv scheinen die Betenden um diese Einschränkung zu wissen. Ihre Anerkennung angesichts einer Genesung wandelt sich dadurch in Missgunst. Dahinter verbirgt sich der Wunsch, selbst zu gesunden. Lässt die Besserung bei einem Gast nach, wandelt sich der Neid wieder in Mitgefühl. Wütend starrt auf Christine eine Mutter, deren Tochter nach kurzem Bewusstsein wieder in Katatonie verfallen ist. “Warum ein anderer und nicht ich?”, spricht Christine einmal den Gedanken aller aus. Die sachlichen Kamerabilder verzichten auf anbiedernde Versöhnlichkeit. Kitsch gibt es in der Bettourismusindustrie des Titelorts genug, die Inszenierung kommt ohne solchen profanen Schnickschnack aus. Die diffizile Handlung hinterfragt die Motivation religiösen Glaubens und den Umgang mit seiner Vergeblichkeit. Die Pilger des Films verleugnen diese Vergeblichkeit. Man sieht sich auf der nächsten Fahrt.
Fazit
Das Drama über vergebliche Hoffnung und Wunderglaube ist ein Meisterstück zwischen Realismus und Horror. Die Hoffnung, die Pilger in Scharen nach Lourdes treibt, verwehrt die Regisseurin dem Publikum. Die Leidenden betrügen sich selbst mit ihrer Hoffnung auf Wunder. Ihr analytisches Drama ist ein grausames Märchen über psychische Abgründe dort, wo die Menschen Gott am nächsten zu sein meint.
Autor: Lida Bach