Inhalt
Die arme und wenig gebildete Mary Reilly (Julia Roberts) nimmt eine Stelle als Hausmädchen bei dem angesehenen Dr. Jekyll (John Malkovich) an. Obwohl sie Jekyll sehr bewundert, fühlt sie sich bald schon zu seinem charismatischen Assistenten Mr. Hyde hingezogen, den sie in aller Unschuld liebt. Doch Hyde ist nicht der, der er zu sein scheint...
Kritik
Wohl jeder kennt zumindest vom Namen und groben Inhalt die berühmte Geschichte vom anständigen, gutmütigen Arzt Dr. Jekyll, der durch ein an sich selbst durchgeführtes Experiment dem abgrundtief bösen Teil seiner Persönlichkeit in Form seines Alter Ego Mr. Hyde zum Leben erweckt. Der 1886 veröffentlichte Roman „Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson wurde bereits 1908 erstmals und seitdem in rund 30 verschiedenen Varianten direkt verfilmt, nicht mit einberechnet die unzähligen Anspielungen und anderweitigen Verwendungen des Stoffs in der Popkultur. Bei Mary Reilly handelt es sich jedoch nicht um eine Adaption der Novelle von Stevenson, sondern um eine des Romans „Im Haus des Dr. Jekyll“ von Valerie Martin aus dem Jahr 1990, der die bekannte Erzählung aus der Perspektive eines Dienstmädchens schildert.
Scheinbar motiviert durch den Erfolg von Bram Stoker’s Dracula (1992) und Mary Shelly’s Frankenstein (1994) sah man die Zeit gekommen für eine Aufwändige Aufarbeitung der klassischen Schauergeschichte. Mit Stephen Frears (Gefährliche Liebschaften) ließ sich ein fähiger und anerkannter Regisseur für das Projekt gewinnen und für die Hauptrollen gönnte man sich mit Julia Roberts (Erin Brockovich) und John Malkovich (Con Air) zwei echte Topstars. Kein ganz billiges Unterfangen, so kassierte Roberts als Gage allein ein Fünftel des Gesamtbudgets von 40 Millionen Dollar. Im Gegenzug Betrug sein US-Boxoffice lediglich 6 Millionen Dollar und Julia Roberts erntete zu allem Überfluss eine Nominierung bei den Razzie-Awards. Kurzum: es wurde ein mächtiger Flop und beendete den kurzzeitigen Trend hochbudgetierter Frischzellenkuren von literarischen Horrorklassikern. Wobei Mary Reilly dies ja gar nicht wirklich sein will. Genau das ist aber die Krux an dem Film: er soll kein Genre-Film sein, funktioniert in dem Part allerdings sogar etwas besser als in seiner angepeilten Funktion des Psychodramas und hätte vermutlich als solcher sogar eine Chance gehabt, wenn man sich nur vollends darauf konzentriert hätte.
Nicht umsonst wurde der Stoff so oft in allen erdenklichen Formen bereits umgesetzt. Die Faszination der zwei Persönlichkeiten des Dr. Jekyll, der vollständigen und ultimativen Trennung von Gut und Böse und der Kampf zwischen diesen beiden Extremen macht die Geschichte nicht nur zeitlos, sie bietet auch psychologisch enorm viel Potential. Mary Reilly bleibt dabei jedoch viel zu artig bei seiner literarischen Vorlage und wagt nicht mal ansatzweise dem Stoff neue Facetten oder individuelle Interpretationen einzuräumen. Das ist handwerklich solide gemacht, vertieft den hochinteressanten Inhalt aber nie effektiv. Schließlich ist die ursprüngliche Vorlage von Robert Louis Stevenson im Grunde auch nicht mehr als eine bald 140 Jahre alte Gruselgeschichte mit einer spannenden Idee, die dieses Thema aber auch nur an der Oberfläche behandelt. Aber sie sollte auch nie mehr sein. Sie bietet seit jeher nur die Basis und gerade eine nicht so notwendig dogmatische Form wie hier könnte dem doch viel abgewinnen.
Aufgrund dieser kaum bis gar nicht kreativen und nahezu biederen Herangehensweise kann der Film eigentlich nur noch über die Genre-Schiene funktionieren, verweigert sich dafür aber weitestgehend den dafür notwendigen Aspekten. Spannende oder gar unheimliche Momente sucht man bei Mary Reilly meistens vergebens, stattdessen soll die komplizierte Beziehung zwischen Dr. Jekyll und seinem traumatisierten Hausmädchen im Mittelpunkt stehen. Dramaturgie und Darstellerleistungen fallen dabei aber beiden in die Kategorie „Stets bemüht“, was die blumige Umschreibung für im Grunde durchgefallen ist. Gerade Julia Roberts wirkt schlicht fehlbesetzt für ihren Part und spielt das mit einer völlig überzogenen Armes-Hascherl-Attitüde bis auf den Nullpunkt runter. Selbst John Malkovich bekleckert sich nicht mit Ruhm, speziell sein Mr. Hyde schrappt mehrfach nur haarscharf an einer Parodie vorbei. Das sich Jekyll und Hyde rein optisch, bis auf Kopf- und Gesichtsbehaarung, praktisch gar nicht unterscheiden und man es hier eindeutig immer mit ein und der selben Person zu tun hat (der Clark Kent Effekt lässt grüßen) ist für die angestrebte Ernsthaftigkeit natürlich nicht unbedingt zuträglich. Schlussendlich ist es der grundsätzlichen Qualität der Geschichte, den guten Nebendarstellern (allen voran Glenn Close, Hillbilly Elegy) und der souveränen Inszenierung von Stephen Frears geschuldet, dass Mary Reilly auch als einer der weniger geglückten Jekyll & Hyde-Varianten sich noch irgendwo im passablen, aber nicht notwendigen Mittelfeld einsortieren kann.
Fazit
Schade, eindeutig eine verpasste Möglichkeit. Wenn der Film schon eine alternative Variante des bekannten Stoffs sein will, sollte er auch mehr anbieten als nur einen wenig ertragreichen Perspektivwechsel, der dir im Prinzip das Gleiche in grün auftischt. Zudem von beiden Hauptdarstellern sehr fragwürdig interpretiert. Besitzt trotzdem noch eine gewisse Qualität und vermutlich hätte das ein richtig interessanter Film werden können, wenn man sich einfach mal etwas getraut hätte statt auf vermeidlich Nummer Sicher zu gehen.
Autor: Jacko Kunze