Inhalt
Um seinem Idol und Stierkampflehrer Diego - wie auch sich selbst - seine Männlichkeit zu beweisen, versucht der sexuell unerfahrene und von seiner religiösen Mutter unterjochte Ángel Diego’s hübsche Model-Freundin zu vergewaltigen. Dies misslingt, Schuldgefühle treiben ihn trotzdem zur Selbstanzeige. Doch selbst dort nimmt ihn niemand ernst. Also gesteht er vier ungeklärte Mordfälle, was für ein großes Medieninteresse sorgt. Dabei ist Ángel nicht nur unschuldig, dank einer hellseherischen Fähigkeit kennt er sogar die wahren Täter: Diego und die Anwältin María - die seine Pflichtverteidigung übernimmt…
Kritik
-„Am besten gefällt mir eine gute Nacharbeit.“
-„Mir auch.“
Mit seinem fünften Spielfilm ist Pedro Almodóvar (Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs) nicht nur eindeutig formell den cineastischen Kinderschuhen entwachsen, er taucht erstmals in die düster angehauchte Welt des Thrillers ein. Aber natürlich auf eine ganz spezielle Weise, die Matador unverkennbar zu einem „seiner“ Werke macht, wenn auch aus einer anderen Perspektive.
Der schüchterne Ángel (Antonio Banderas, Desperado) ist trotz seines ansprechenden Äußeren noch Jungfrau und nicht nur aus sexueller Sicht sichtlich desorientiert. Schuld daran ist vermutlich sein Heranwachsen unter einer dominanten Mutter und strengen Opus Dei-Mitglied. Um sich in seiner Maskulinität zu bestätigen nimmt er Stierkampfunterricht beim nach einem Unfall in der Arena vom aktiven Geschehen zurückgetretenen Ex-Star-Matador Diego (Nacho Martínez, Das Gesetz der Begierde). Als dieser ihm bei einen Vier-Augen-Smalltalk eventuelle Homosexualität unterstellt, sieht sich Ángel zum Handeln gezwungen: Kurzerhand versucht er seine Nachbarin, ausgerechnet Diego’s Freundin Eva, zu vergewaltigen. Dies schlägt kolossal fehl. So beschämend, dass selbst das Opfer es nicht als wirklich relevant, ja fast peinlich betrachtet und lieber nicht zur Anzeige bringt. Sprechen wir nicht drüber. Seine moralinsaure, auf Beichte, Buße und Selbstkasteiung begründete Sozialisierung zwingt Ángel jedoch quasi dazu, sich selbst bei der Polizei vorzustellen. Als dies zu nichts führt und sein Drang für Bestrafung überhand gewinnt, gesteht er kurzerhand einige ungeklärte Mordfälle. Das hört man dort natürlich gerne, besonders da er über leichtes Insiderwissen zu verfügen scheint. Doch das hat einen ganz anderen Grund: In Visionen hat er einigen der Morde vor dem geistigen Auge beigewohnt. Und auch die eigentliche Täterin gesehen. María (Assumpta Serna, Wilde Orchidee), die in ihrer Funktion als Rechtanwältin seine Verteidigung übernimmt. Aber das ist eigentlich nur der Anfang der Geschichte…
War Pedro Almodóvar bis dato eigentlich nur ein hochtalentierter, aber sichtlich ungestümer Rebell mit mehr Herz als Geduld, Emotion statt eines durchdachten Schlachtplans, erweist sich Matador als seine erste, richtig reife und zu 100% professionell auftretende Arbeit. Mit der er sofort in den Kreis der wirklich großen, wichtigen Filmemacher aufstößt, was sich vorher zwar schon latent andeutete, aber immer noch in der Schwebe mit Fingerübungsstatus. Nicht zu verwechseln mit nur der geringsten Form von Konformität: In seinem provokant-kritischen Tonfall wie seinen spleenigen Einfällen ist Almodóvar nach wie vor der „Alte“, perfektioniert seine Guerilla-Methoden nur erstmals mit dem fachlich angeeigneten learning-by-doing-knowhow. Und erweist sich ganz nebenbei als erstklassiger Genre-Regisseur- und Kenner, zitierfreudig bis zum Anschlag (es wird u.a. zu Bava’s Blutige Seide masturbiert, ganz zu schweigen von der Bedeutung des in Auszügen gezeigten Finales von Duell in der Sonne für das spätere Geschehen), aber nach seiner ganz eigenen Tonalität. Eine eiskalte wie emotional auf lodernder Flamme eigentlich diffus erhitzte Gazpacho aus Rezepten und Gewürzen von Hitchcock, De Palma & Cronenberg, die der Küchenchef in ein eigenes Gericht verwandelt.
Wie viele seiner Filme mit semi-autobiographischem Einschlag versehen erzählt Almodóvar diesmal einen morbiden, todessehnsüchtigen – beinah danach flehenden – Thriller, der die Faszination für das Sterben als Aphrodisiakum, Viagra und obsessives Bindeglied verwendet, um eine äußerst merkwürdige, fast sogar leicht nekrophile Beziehungskiste mit faszinierend-schrägen Auswüchsen darzustellen. Zwischen den Zeilen wird wie gewohnt bissig ausgeteilt: Gegen die Überreste des faschistoiden und züchtigen Franco-Regimes, gegen religiösen Fanatismus und Fundamentalismus, gegen Gender-Muster, Homophobie und, um es auf den Punkt zu bringen, insgesamt gegen traditionelle Werte und Normen, die auf veralteten und längst mehr als überholten Vorstellungen beruhen. Vorgetragen als teils düsterer und hochwertig-eleganter Thriller mit sehr makabrer Note, der seine Absurditäten nicht schrill vor sich her trägt, sondern eher subtil nebenbei auspackt. Statt mit seiner Gabe eine Verbrechensserie aufzuklären, nutzt sie „der Engel“ lieber um sich für seinen Sündenfall zu bestrafen. Während die eigentliche Täterin alles dafür tut, seine Unschuld zu beweisen. Und dadurch erst mit ihrem lange im Stillen begehrten Seelenverwandten zusammenzukommen. Denn Stierkampf ist nicht nur Religion und Kulturgut, es ist die traditionell legimitierte, sadistische, vielleicht letzte Barbarei eines modernen Europas nach Franco, in der Mord zur Lustbefriedigung noch geduldet wird.
Fazit
Beim Sterben zusehen, das Sterben verursachen…die ultimative Steigerung davon stellt natürlich das große, konsequente Finale von „Matador“ dar. „Besser, dass es so gekommen ist. Niemals habe ich jemanden so glücklich gesehen“. Mit diesem zynischen Zitat endet Almodóvar’s bis dahin bester und bedeutsamster Film, der kräftig austeilt, aber sich seines (durchaus sympathischen) Zirkuszelt-Flair entledigt und darüber hinaus versteht, wie sich verschiedene Elemente sinnvoll vereinen lassen. Faszinierend erzählt und stark inszeniert. Willkommen in der A-Liga, Señor Almodóvar.
Autor: Jacko Kunze