Inhalt
Brasilien, in nicht näher definierter Zukunft: Die Säkularisierung ist aufgehoben, das Land wird von der Kirche regiert. Nachts ziehen Mariana und ihre gewaltbereiten Mitstreiterinnen maskiert durch die Stadt. Sie sind auf der Jagd nach Frauen, die gegen Sitte und Moral verstoßen. Ihre Ideologie fußt auf einer urban legend, wonach der Sünderin Melissa von einem Engel das Gesicht angezündet wurde. Das reinigende Feuer hat sie zur Heiligen avancieren lassen, die immer noch irgendwo, mit deformiertem Gesicht, ihr Dasein fristet. Marianas Spurensuche führt sie in eine ihr fremde Welt der menschlichen Nähe, die langsam auch sie zu verändern beginnt.
Kritik
In Medusa begegnet uns eine düstere Zukunftsvision Brasiliens: Die Trennung zwischen Staat und Kirche ist aufgehoben, die Kirche regiert das Land. Nachts treibt eine Bande junger Frauen ihr Unwesen, sucht vermeintliche Sünderinnen, um sie zu bestrafen. Getarnt unter einfachen, weißen Masken zwingen sie ihre Opfer zu einem Bekenntnis. Vor laufender Kamera werden sie so lange zugerichtet, bis sie sich zur fundamentalistischen Ideologie bekennen und Besserung schwören. Regisseurin Anita Rocha da Silveira erzählt in einem Genre-Mix auf Fantasy, Coming-of-Age-Drama und Horror einen modernen Mythos, der zum gesellschaftskritischen Rundumschlag ausholt. Er richtet sich gegen religiösen Fundamentalismus, patriarchale Banden, Schönheitsideale und institutionalisierte Machtstrukturen. Medusa ist ein emanzipatorisches Bollwerk gegen die erstarkte rechtsextreme Politik Brasiliens.
Schon im Titel deutet sich die Stoßrichtung des Werkes an, spielt dieser doch auf eine der bekanntesten griechischen Mythen an: Die "Medusa", die in jungen Jahren Demütigungen ertragen musste und verflucht wurde, sodass jeder, der ihr in die Augen blickt, versteinert. Auf ihre Schönheit reduziert, wurde sie für eben diese bestraft, isoliert, für immer als Gefahr markiert. Nicht nur das Motiv der Entstellung greift die Regisseurin auf, auch die Bestrafung eines positiven Bezugs zur eigenen Weiblichkeit. Medusa verbindet die Tragik der griechischen Sage mit ästhetischen Ideen des Genrefilms, die im Speziellen B-Movies und Horrorfilmen entnommen sind. Die Verbindung von simpler Genrefilm-Ästhetik und aus Geschichte und Hochkultur entnommenen Motiven ist nicht neu. Wir kennen solche Symbiosen beispielsweise von Dario Argento (Phenomena), der in Opera seinen Giallo-Krimi-Plot vor der beeindruckenden Kulisse einer Oper spielen lässt.
Doch auch aufgrund anderer Aspekte lohnt es sich Argento anzuführen. Das intensive Spiel mit Licht und Farbe, das simple, doch ikonisch dargestellte Design der Täterinnen und hypnotisch eingerichtete Szenen erinnern an dessen Kunstgriffe. Generell funktioniert Medusa am besten in seinen starken Einzelmomenten: Choreographierte Gesangsszenen, in denen vor einer in Neonlichtern getränkten Pastorenbühne eine moderne Version der "Heilen Welt"-Narrative aufgeführt wird. Szenen, in denen sich die Protagonistin erstmalig mit ihrer eigenen Lust konfrontiert sieht. Gegenüberstellungen von hell ausgeleuchteten und verheißungsvoll schimmernden Orten, die den Tugend-Sünde-Kontrast darstellen. Doch hier stolpern wir schon über eines der Hauptprobleme des Filmes: Der simple Ausdruck seiner Themen, dem es an Subtilität fehlt.
Das wäre für einen aktivistischen Genre-Film kein Problem. Allerdings entschied man sich für ein langsames Pacing, rückte Coming-of-Age und Drama-Motive verstärkt in den Vordergrund und visierte mit 127 Minuten eine ausgedehnte Lauflänge an. Diese kann der Film nicht füllen. Das lässt sich darauf zurückführen, dass sich simple Symbole stetig wiederholen und sich die Szenen häufig nicht wie aus einem Guss anfühlen, da sie zu offensichtlich ihre visuellen Höhepunkte vorbereiten. Die Vielzahl an visuellen Einfällen mag für sich genommen überzeugen, wirkt in ihrer Abfolge jedoch oft forciert. Besonders auffällig ist das in den Momenten, in denen das Werk satirische Töne anschlägt. Hier schreit alles danach, interpretiert zu werden. Leider auf Kosten des wirklich interessanten Erzählung.
Fazit
"Medusa" hangelt sich von starkem Einzelmoment zu starkem Einzelmoment. Dabei gelingt es ihm leider nicht, seine wichtige politische Botschaft in einer überzeugenden Erzählung unterzubringen. Stattdessen wirkt der Genre-Mix zerfasert und in seinen Symbolen redundant.
Autor: Maximilian Knade