7.5

MB-Kritik

Mickey 17 2024

Adventure, Comedy, Fantasy

7.5

Inhalt

Mickey Barnes (Robert Pattinson), der unvermutete Held der Geschichte, befindet sich in einer außergewöhnlichen Situation, denn sein Arbeitgeber verlangt von ihm die ultimative Hingabe an den Job: Mickey verdient sich seinen Lebensunterhalt, indem er stirbt ...

Kritik

Autoritäre Regime, das Klassensystem und Degradieren intelligenter Individuen zu lebenden Ressourcen sind übergreifende Themen Bong Joon Hos filmischen Œvres. Dessen jüngste Ergänzung vereint diese komplexen Kernelemente zu einem ebenso gewitzten wie gesellschaftskritischen Genre-Highlight. Basierend auf einer Grundidee aus Edward Ashtons 2022er Roman Mickey7 imaginiert das die untersten Mitglieder einer futuristischen Kolonialmacht als menschliches Verschleißprodukt. Als solches mit der Weltraumkolonie des Eisplaneten Niflheim zu emigrieren, ist die einzige Chance für Mickey Barnes (Robert Pattinson, The Batman: Part Two) und seinen Kindheitsfreund Timo (gewohnt exzellent: Steven Yeun, Love Me) irdischen Geldhaien zu entkommen.

Während der gerissene Timo einen passablen Pilotenjob ergattert, meldet der verzweifelte Titelheld sich notgedrungen als Expandable. Als lebendes Recyclingprodukt sind Expandables für die gefährlichsten Jobs an Bord des Raumschiffs und später auf Niflheim zuständig, damit niemand aus der teuer ausgebildeten und genetisch selektierten Elite drauf gehen muss. Wird Mickey bei Wartungsarbeiten geschreddert, radioaktiv verstrahlt oder einem tödlichen Virus ausgesetzt, spuckt ein sogenannter „Reprinter“ einfach einen Klon von ihm aus. Dann nur noch die auf Chip gespeicherten Erinnerungen und Persönlichkeit hochladen und auf gehts zur nächsten Selbstmordmission. 

Dass Mickeys Tod nicht nur billigend hingenommen wird, sondern gezielt herbeigeführt, um Erkenntnisse zu gewinnen, unterstreicht seine Entmenschlichung in den Augen des prototypischen Idealstaats. Das für das Reprinting zuständige Wissenschaftsteam setzt ihn gleich einer Clique Mengeles grausigen Experimenten aus, da wo Mickey 4,5 und 6 herkommen, noch viel mehr sind. Auch wenn Bong Mickeys serielles Sterben als makaberen Running Gag initiiert und Pattinson den Protagonisten mit Keatonesker Deadpan Mine spielt, lauert hinter dem Humor der Horror. Jener ist unangenehm nah an der Wirklichkeit. 

Die ist de facto noch übler als die sarkastische Sci-Fi-Comedy. Die Unterschicht muss von jeher die unsichersten und gesundheitsschädlichsten Arbeiten übernehmen, wofür sie die mieseste Entlohnung und das Gegenteil von Sozialprestige erhält. Nur wird im wahren Leben niemand nachgedruckt. Tot ist tot - ein Zustand, mit dem sich auch Mickey auseinandersetzen muss, als er ungeplant einen mörderischen Einsatz überlebt und dabei unabsichtlich die Regeln des Expandable-Programms bricht. Die Konsequenzen variieren das Doppelgänger-Motiv, mit dem der Regisseur und Drehbuchautor bereits in Parasite spielte. 

Paradoxerweise realisiert er erst durch die physische Konfrontation eines Alter Egos seine Individualität, die das Klon-Konzept untergräbt. Die daraus resultierende existenzielle Krise ist zugleich eine Emanzipation gegen die populistische Autokratie des Trump & Ivanka Duos Kenneth Marshall (grandios größenwahnsinnig: Mark Ruffalo, The Oscars) und Ylfa ( Toni Collette, Hereditary). Beider Präsidenten-Persiflage liegt nah am Klamauk. Doch dystopische Desillusionierung und zynisches Zeitbewusstsein bewahren den grimmigen Realismus der cleveren Story. Deren eisiges Szenenbild auf dem schneebedeckten Niflheim beschwört die zweite Eiszeit von Snowpiercer und frühe Arktis-Expeditionen ebenso herauf wie die Klimakatastrophe. 

Fazit

Die abgründige Sozialkritik seines oscargekrönten Gegenwartskinos führt Bong Joon Hos sardonische Science-Fiction-Fabel zurück zu seinem favorisierten Genre. Charakteristisch für Bong treten Action und Spektakel in den Hintergrund zugunsten psychologischer Dynamik, Systemkritik und schillernder Figuren. Deren markanteste ist Ruffalos kongenialer Donald-Trump-Verschnitt, hofiert von Toni Collettes fanatischer First Lady und einem Elon-Musk-liken Media-Priester. Pattinson beweist seine schauspielerische Wandelbarkeit mit einem tragikomischen Touch Stummfilm-Slapstick. Die zeigt neben visuellen Verweisen auf Miyazakis "Nausicaä" die vielschichtige Inspiration der subversiven Zukunftsvision über den Menschen als Mehrwegprodukt und das Ableben als Arbeitsroutine. 

Autor: Lida Bach