Inhalt
1893 wurde die erste Bahnlinie in Thailand als Zeichen des Fortschritts und Wohlstands eröffnet. Schaut man heute aus dem Zugfenster, blickt man immer noch auf Reisfelder und Palmenlandschaften. In der ersten Klasse mischen sich die Touristen mit reicheren Einheimischen und prosten einander zu, bevor sie sich in ihre großzügigen Liegewagen zurückziehen. Die hinteren Waggons sind überfüllt; auf Bänke, die für zwei vorgesehen sind, quetschen sich vier Reisende. Geschickt bahnen sich die Essensverkäufer ihren Weg. Das Leben steigt ein und steigt wieder aus, während die Kamera sich wie ein Fahrgast unter die Reisenden mischt. Eine Frau verkauft Groschenromane, Kinder erledigen die Hausaufgaben, bewaffnete Soldaten führen Kontrollen aus, immer mehr verschleierte Frauen füllen die Abteile. Die beiläufig beobachteten Miniaturen des Alltags im Zug geben die Stimmung einer Gesellschaft wieder, die nicht zu wissen scheint, wohin sie sich eigentlich bewegt, während der Zug seit 100 Jahren das Land von Norden nach Süden durchquert.
Kritik
In den ersten Minuten besitzt das Debütwerk von Sompot Chidgasornpongse noch Ansätze eines Dokumentarfilms. Historische Schwarz-Weiß-Fotos zeigen Schienenarbeiter bei der Konstruktion der ersten Bahnstrecke des Landes. Das hieß 1890 noch Siam, dessen Herrscher Rama, IV. in einer feierlichen Ansprache verkündete, der Zug möge den Staat mit Volltempo in eine fortschrittliche Zukunft tragen. Viel wurde nicht daraus. Über die Gründe schweigt der Regisseur diskret. Um seinen Status und den des Films nicht durch Obrigkeitskritik zu gefährden? Das Pressematerial verrät das Naheliegende: Ineffiziente Verwaltung, Korruption und politische Umbrüche blockierten die Modernisierung der Bahn.
Die Reise auf dieser Strecke ist der filmische Weg, auf den Chidgasornpongse sein Publikum mitnimmt. Ihn einen Regisseur zu nennen, scheint übertrieben, selbst Dokumentarfilmer passt nicht recht. Allem Anschein nach hält er schlicht die Kamera drauf, während die Waggons dahin rumpeln. Quer durch das Land von Nord nach Süd geht es. Praktischerweise sitzt eine Grundschulklasse im Zug, deren Lehrer mit seinen Erläuterungen eine Gratis-Einführung spendiert. Früher wurden die Züge mit Holz befeuert und Rauch schwärzte die Gesichter der Fahrgäste, erfahren Kinder und Kinobesucher. Geändert hat sich für die heutigen Passagiere wenig.
Der Mundschutz, den einige tragen, ist nicht übertrieben. Nachts passiert der Zug surreal anmutende Müllbaracken, vor denen Lagerfeuer dicken schwarzen Qualm in den Himmel spucken. Doch solche enthüllenden sozialen Einblicke sind die Ausnahme und bleiben kontextlos und zufällig. Banale Alltagsszenen überwiegen. Händler verkaufen blinkendes Plastikspielzeug, dazu gibt es kalte Tücher und Snacks: Curry-Bällchen, fermentiertes Schwein, Schweinewurst, hart gekochte Eier, Klebreis und Tabletts voller Törtchen mit Geburtstagskerzen. Alles nur 10 Bath. Nach fast einer Stunde Laufzeit gibt es dann sogar frittiertes Schwein mit Klebreis. Auch eine Art des Fortschritts.
Fazit
Bisweilen umspielt amateurhafter Charme die Aufnahmen, die wie eine Installation auf einer Ausstellung über Bahnfahrt wirken. Den Mangel an Hintergründigkeit und Aussage kann dies nicht ausgleichen. Ein Typ schrammelt auf der Gitarre von Liebe, Fahrgäste streiten um Platznummern. Schließlich wird gepennt, während Schlagermusik aus einem Lautsprecher leiert und draußen der Regen prasselt. Zumindest in Sachen kollektiver Ermüdung generiert die zähe Kinotour Identifikationspotenzial.
Autor: Lida Bach