Inhalt
Von Praunheims provokanter Film ist harsche Kritik des bürgerlichen Strebens von Homosexuellen. Mit seiner Forderung „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“ wurde er nach seiner Uraufführung im Forum zu einem Wegbereiter der Schwulenbewegung.
Kritik
Aufgemacht als fiktionalisierter Dokumentarfilm, Essay und wütender Aufruf zum Handeln war Rosa von Praunheims (Stadt der verlorenen Seelen) Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt nach seiner Premiere ein Ereignis. Aufgeführt nur wenige Jahre nach der Abschaffung des Paragraphen 175, welcher die Strafbarkeit von Homosexualität besagte, leitete Praunheims Film die homosexuelle Bewegung in Deutschland ein und sorgte darüber hinaus für einige Kontroversen. Der Film, welcher sich nie an Normen anbiedert und viel eher das schwule Publikum zu einem Umdenken aufforderte, ist es wert wiederentdeckt zu werden. Aus gegenwärtiger Perspektive stellt Praunheim immer noch aktuelle Fragen nach queerer Identität und Selbstverständnis, sein Film erweist sich aber in manch anderen Aspekten als etwas veraltet.
Von einem heutigen Blick aus fällt der starke Phallogozentrismus des Filmes ins Auge, da Praunheim bei seiner Abhandlung über den queeren Lebensstil die Präsenz von lesbischen Frauen vollständig ignoriert. Sicherlich war es 1971 eine Sensation das Thema Homosexualität in dieser offensiven Form überhaupt nach Außen zu tragen, dennoch schließt sich diese Lücke nicht wirklich. Trotzdem macht Praunheim in seiner Inszenierung, die immer aus den Erlebnissen des Protagonisten Daniel (Bernd Feuerhelm) und dem halb-ironischen Voice Over schwankt, viele, weiterhin relevante Beobachtungen, wenn er unter anderem etwa den finanziellen Hiat zwischen den einzelnen Homosexuellen anspricht und beklagt, das wohlverdienende Schwule an einer Gleichberechtigung uninteressiert sind. Insgesamt bewegen sich die Kommentare des Erzählers (Volker Eschke, Neuosia - 50 Jahre pervers) sehr zwischen Vorurteilen und Aufdeckung. Das heterosexuelle Publikum konfrontiert er damit offen mit potenziellen Vorurteilen, während er die queere Community zur Selbstreflexion zwingt.
Das Ganze mündet in einem Call to Action. „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“ ist das berühmte Motto, welches am Ende erklingt und womit Praunheim offen das Outing der queeren Community provozieren will. Was damals als mutiges Pamphlet zu lesen war kann aus moderner Perspektive ein zweischneidiges Schwert darstellen: Zum einen sind Praunheims Intentionen schwer abstreitbar und lobenswert, gleichzeitig aber schränkt er die Thematik dadurch ein. Das Schlussplädoyer verweigert durch den Wunsch nach kollektivem Outing das Experimentieren mit der eigenen Identität und negiert sexuelle wie identitäre Ambivalenz. Das sich derartige Lesarten aus dem Film herauslesen lassen sprechen aber dennoch unabdingbar für Praunheims Film, der selbst nach Jahren immer noch herausfordert und zum diskutieren einlädt.
Fazit
Rosa von Praunheims filmisches Pamphlet „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ offenbart von einem gegenwärtigen Standpunkt aus sowohl Leerstellen wie auch thematische Fruchtpunkte und bleibt in seinen sarkastischen Beobachtungen relevant.
Autor: Jakob Jurisch