MB-Kritik

Palestine 36 2025

Drama, History, Biography

Inhalt

Im Jahr 1936, als palästinensische Dörfer gegen die britische Kolonialherrschaft rebellieren, pendelt Yusuf zwischen Jerusalem und seiner ländlichen Heimat inmitten eskalierender Unruhen und einem entscheidenden Moment für das Britische Empire.

Kritik

 Mit einer Premiere in Toronto wenige Wochen nach Keir Starmers Verkündung der    Offiziellen Anerkennung des Palästinensische Staates oszilliert Annemarie Jacirs opulentes Historienporträt umso stärker als ein zeitgeschichtlicher Spiegel gegenwärtiger Ereignisse. Deren Schatten lastet schwer auf dem geschichtlichen Panorama, das ein filmisch vernachlässigtes Kapitel palästinensisch-britischer Geschichte. Mit hochkarätiger Besetzung, einem Arsenal prominenter historischer Figuren und aufwendigem Szenenbild vereint die Palästinensische Regisseurin Figurendrama und Kolonialismus-Chronik zu einem evokativen Epos. Dessen titelgebenden Handlungsjahr markiert den Beginn des arabischen Aufstands gegen das britische Kolonial-Regime. 

Seine strategische gezielte Förderung jüdischer Immigration und immer grausamere Ausbeutung und Unterdrückung der arabischen Bevölkerung provozierte schließlich in deren gewaltsamen Widerstand. Die auf ein halbes Dutzend emblematischer Charaktere konzentrierte Handlung verfolgt die Ereignisse von den friedlichen Protesten und diplomatischen Appellen gegen die Repressionen bis zur Eskalation und deren blutiger Niederschlagung. Die entschlossene Journalistin Khuloud (Yasmine Al Massri), die rebellische Dorfbewohnerin Hanan (Hiam Abbass, Kein Tier. So Wild.) sowie der zwischen seinem provinziellen Heim und Jerusalem zerrissene Yusuf (Karim Daoud Anaya) stehen auf der Seite der Unterdrückten. 

Jeremy Irons (Once Upon a Studioals rigoroser High Commissioner Arthur Wauchope, der sadistische Captain Orde Wingate (Robert Aramayo, Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht) und Billy Howle (Ein neuer Sommer) als obligatorischer moderater Beamter, der den Grausamkeiten hilflos gegenübersteht, liefern die ähnlich eindimensionalen britischen Prototypen. Als Vertretende verschiedener Generationen, Bevölkerungsgruppen und kolonialistischer Positionen sind die Figuren weniger nuancierte Individuen als menschliche Verkörperungen von Presse, ländlichen und städtischen Anwohnenden sowie militärischen Hierarchien. Ebenso repräsentativ sind in der straffen Inszenierung die jeweiligen Gesinnungen von naiven Idealisten bis zum Märtyrer und von bestechlichen Mitläufern bis zu rassistischen Schurken. 

Psychologie und charakterlichen Nuancen finden kaum Platz in der sorgfältig komponierten Szenerie. Deren präziser Fokus auf Ort und Zeit, von verarmten Dörfern bis zum pulsierenden Jerusalem, unterstreicht den Anspruch auf Faktentreue mittels Archivmaterial und zieht zugleich unübersehbare Parallelen zur Gegenwart. Schikanen an Straßenkontrollpunkten, Bombenattentate und das Niederreißen von Siedlungen verdeutlichen beklemmend die brutale Wiederholung der Geschichte von Besatzung, Landraub und Vertreibung. Jacirs persönliche Anteilnahme durchdringt das Geschehen ebenso wie ihr edukativer Ansatz. Klare Strukturierung, charakterliche Simplifizierung und emblematische Szenen stellen das Prestige-Projekt ganz in den Dienst seiner Botschaft.


Fazit

In knapp über zwei Stunden Laufzeit entwirft Annemarie Jacir mit beeindruckender Genauigkeit und Sinn für Details bildgewaltiges und schauspielstarkes Historienkino. Obwohl emotional und politisch spürbar aufgeladen, verzichtet die forsche Inszenierung auf Sentiment und Romantisieen zugunsten authentischer Rekonstruktion. Ideologisches Erwachen, das (Heran)Wachsen einer kollektiven Identität und die Formierung zum Widerstand liefern die Schlüsselthemen des stimmungsvollen Szenarios. Dem verleiht Ben Frosts Soundtrack drohende Wucht während das Kamerateam eine bemerkenswert nahtlose Bildgestaltung komponiert. Die Tendenz zum Pamphlet und menschlichen Stereotypen dämpft die Dramatik allerdings ebenso wie der didaktische Gestus. 

Autor: Lida Bach
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