Inhalt
Der totkranke Graf Hervé de Kerloguen ist verschwunden. Von seinem Ableben ist auszugehen, nur wo ist die Leiche? Das wüssten besonders die angereisten Erben gerne. Denn ohne den Leichnam gilt der Graf erstmal nur als vermisst und das Erbe kann erst in fünf Jahren vollstreckt werden. Die Sippschaft begibt sich auf die Suche im Schloss, während einer nach dem anderen plötzlich selbst den Tod findet…
Kritik
Ein alter Mann im Angesicht des Todes. Graf Hervé de Kerloguen (Pierre Brasseur, Hafen im Nebel) ist allein in seinem prunkvollen Anwesen, einem Schloss mit großer Tradition und bewegter Vergangenheit. Totkrank weiß er, dass in dieser Nacht sein letztes Stündlein geschlagen hat. Er zieht sich zum Sterben zurück – nur wohin? Wir als Zuschauer sehen dies, sind mit diesem Wissen über lange Zeit jedoch allein. Als sein Verschwinden festgestellt wird, besteht kein Zweifel an seinem Ableben. Zu kritisch war sein Gesundheitszustand, der Tod wurde ihm von seinem Arzt praktisch direkt für diese Nacht vorhergesagt. Da lässt sich die gierige Verwandtschaft nicht lange bitten. Neffen und Nichten trudeln mit großen Erwartungshaltungen ein, um den großzügigen Nachlass untereinander (notgedrungen) aufzuteilen. Der Notar macht ihnen jedoch einen Strich durch die Rechnung: Obwohl vom Tod des Grafen aus medizinischer Sicht zweifellos auszugehen ist, ist er im juristischen Sinne aktuell nur verschwunden.
Ergo: Keine Leiche, keine Kohle. Erst nach fünf Jahren kann er so endgültig für verstorben erklärt werden. Schlimmer noch: In dieser Zeit haben die angehenden Erben sich um den Nachlass zu kümmern, mit allen nicht gerade geringen Nebenkosten. Dem Jüngsten im Bunde, Jean-Marie (Jean-Louis Trintignant, Liebe), kommt dabei ein guter Einfall: Das Schloss soll als Schauplatz für eine Aufführung dienen. Eine Touristenattraktion, die sich den dramatischen Ereignissen widmet, die sich dort einst zutrugen. So kommt wenigstens etwas Geld in die Kasse, während die Suche nach der lukrativen Leiche des Herrn Grafen weiterhin fortgesetzt wird. Doch dann geschieht ein schreckliches Unglück und einer der Neffen kommt bei einem Unfall ums Leben. Zufall? Wohl eher nicht, denn dann wird es sehr offensichtlich, dass jemand die restlichen Erben manipuliert, gegeneinander aufhetzt und durch perfide Psychospielchen an den Rande des Wahnsinns treibt. Ist es der Fluch der Vergangenheit, der durch die Ausschlachtung seiner tragischen Historie nun wieder zum Leben erweckt ist? Oder doch eher jemand aus den eigenen Reihen, der vorsorglich die Anzahl der Stücke vom großen Kuchen reduzieren möchte?
Ein Jahr vor Mitternachtsmörder inszenierte Georges Franju mit Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff (auch bekannt als Augen ohne Gesicht) einen Meilenstein des Horrorfilms, der seinerzeit aufgrund sehr drastischer Momente für einen Skandal sorgte und erheblich gekürzt wurde. Dies war aber eigentlich nur ein kleiner Teilaspekt des Films. Seine wahre Stärke lag neben der düster-poetischen Geschichte besonders in der fantastischen, stimmungsvollen Inszenierung. Franju wechselt hier das Genre und die dramaturgische Ausrichtung, die Parallelen zu seinem Meisterwerk bleiben jedoch unverkennbar. Wieder dient ein verwinkeltes, bald labyrinthisches Anwesen als Handlungsort, wieder dreht sich alles um ein gut gehütetes Geheimnis und den Tod, diesmal jedoch weitaus sarkastischer. Fantastisch fotografiert wird in wundervollen Gothic-Sets eine Mischung aus Whodunnit-Krimi und pechschwarzer, makabrer Komödie vorgetragen, bei der das ursprünglich angedeutete Hauptthema – die Suche nach dem verstorbenen Hausherren – im weiterem Verlauf beinah zur Nebensache verkommt. Bald beiläufig wird dieses Rätsel irgendwann gelöst, da hat schon längst eine andere Geschichte den Plot für sich erobert. Genussvoll wird die raffgierige, bucklige Verwandtschaft gegeneinander aufgebracht und das Publikum - das eh schon die Antwort kennt, nach der die ganze Zeit gesucht wird – bekommt deren moralisch verdorbene, aber viel unterhaltsamere und spannendere Auswüchse mit satirischem Augenzwinkern auf einem exzellent polierten Silbertablett serviert.
Fazit
Sarkastischer Whodunnit-Krimi in schaurig-schönem Gothic-Ambiente. „Mitternachtsmörder“ bietet eine äußerst gelungene Genre-Mixtur, vorgetragen mit bemerkenswert-handwerklicher Finesse. Ein aus unerklärlichen Gründen fast vergessener Film, der durch dieses DVD-Release hoffentlich etwas mehr Aufmerksamkeit zu Teil wird. Die ihm definitiv gebührt.
Autor: Jacko Kunze