Inhalt
Seit Ben denken kann, sind er und sein Bruder Barnabas ein Herz und eine Seele. Barnabas, "Simpel" genannt, ist 22 Jahre alt, aber geistig auf dem Stand eines Dreijährigen. Auch wenn Simpel eine fürchterliche Nervensäge sein kann, ist ein Leben ohne ihn für Ben absolut unvorstellbar. Als ihre Mutter unerwartet stirbt, soll Simpel in ein Heim eingewiesen werden. Die beiden gehen auf die Flucht und nach einer verrückten Odyssee und einer Nacht im Freien kapiert Ben, dass er nur noch eine Möglichkeit hat: Er muss ihren Vater David suchen, den sie seit 15 Jahren nicht mehr gesehen haben.
Kritik
Obwohl Simpel von Markus Goller (Friendship!) offiziell als Romanadaption gilt, kann man seine sehr eigene Interpretation des gleichnamigen Buches der Französin Marie-Aude Murail aus dem Jahr 2004 kaum mit gutem Gewissen als solche bezeichnen. Goller und sein Co-Autor Dirk Ahner (inszenierte zuletzt Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer) leihen sich ein Stück der Grundkonstellation, übernehmen einige Figuren und verpflanzen dies in einen gefühlt sehr deutschen Feel-Good-Roadmovietrip zwischen Jever und Hamburg. Eine Odyssee zweier Brüder, die voneinander abhängig sind oder zumindest glauben es zu sein, aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln. Mit der erprobten Mischung aus Außenseiter-Mitleids-Charme-Offensive, warmherzig-weltfremder Schwarz-Weiß-Malerei und der zaghaften Pauschalisierung wirklich relevanter Themen, die so eigentlich einen richtig guten Film verdient hätten.
Klingt ganz furchtbar? Ja, so ganz komprimiert natürlich, aber trotz alledem ist es keinesfalls ein zweiter Honig im Kopf geworden, was für sich genommen auch nicht mehr ist als das Mindestmaß an filmischer Zumutbarkeit; quasi das Verhindern von aktiver Folter. Im Mittelpunkt stehen die Brüder Ben (Frederick Lau, Der Hauptmann) und der geistig behinderte Barnabas, genannt Simpel (David Kross, Der Vorleser). Nach dem Tod der Mutter soll Simpel in einer Nacht und Nebel Aktion in ein Heim verfrachtet werden (äußerst praxisnah im vergitterten Polizeieinsatzwagen, so gehört sich das), da seinem fürsorglichen und mit maximaler Selbstaufopferung sogar ungesund bis grenzwertig behütendem Bruder nicht das Sorgerecht gewährt wird. Weil ihr gemeinsamer Erzeuger (Devid Striesow, Ich bin dann mal weg) – seit ihrer frühen Kindheit auf, wie es Simpel so putzig nennt, „Geschäftsverreise“ - diesem nicht zugestimmt hat. Als einzig guter Mensch bei solch merkwürdigen Hauruck-Deportationen entscheidet Ben, die bösen Brüder-Diebe spontan aus dem Auto zu schubsen und mit Barnabas einen holperigen Trip nach Hamburg hinzulegen, auf dem sie es mit herzensguten Truckern, Huren und Sanis zu tun bekommen, denen man auch gerne die Knarre aus dem Handschuhfach stibitzen oder die die Wohnung in Brand stecken darf.
Solange der unschuldige, entwaffnende Kuscheltier-Charme eines geistig behinderten Sonnenscheins diese wohlige Zwangs-Empathie kitzelt, die jeder Menschenliebhaber am liebsten dann für sich selbst entdeckt, wenn er im Alltag möglichst wenig damit zu tun hat, ist doch alles spitze. Mit der Realität hat Simpel verdammt wenig zu tun, ausgenommen das wirklich hervorragende Spiel seiner beiden Hauptdarsteller, besonders von David Kross. Höchsten Respekt vor dieser Leistung, mit der er nicht nur eine erstaunlich detaillierte, glaubhafte Verkörperung eines solchen Menschen abgibt, sondern zudem gegen eine Drehbuch aus dem Daily-Soap- und Konfirmandenunterricht-Weltversteher-Katalog anspielen muss, das ist fast schon undankbar schwierig. Was Klischees und selbstzweckhafte Huch-das-ist-ja-drollig-Momente angeht, da reizt Simpel lange seine Mittel bis zum Anschlag aus, aber – und das ist ganz entscheidend – er verfolgt dabei tatsächlich einen guten und richtigen Gedanken, was man ihm schnell gar nicht mehr zutrauen mag.
So grenzwertig hier zunächst die stationäre Aufnahme eines behinderten Menschen als menschenunwürdiges, herzloses Abschieben an den Pranger gestellt scheint, ist Simpel stattdessen der vernünftige Apell daran, dass dies eben nicht der Fall ist bzw. nicht sein muss. Wenn aus falsch verstandenem Verantwortungsbewusstsein sich nicht nur das eigene, sondern sogar das Leben des eigentlich so herzlich Betreuten nicht richtig entfalten kann, dann ist damit niemanden wirklich gedient. Mit seiner naiven, eindimensionalen und oftmals manipulativ-weltfremden Art entwickelt sich der Film wenigstens am Ende noch in die halbwegs richtige Richtung oder stellt wenigstens klar, dass er absolut gut gemeint ist. Nur eben sehr...naja, simpel. Passt schon, der Titel. Und wie schon gesagt, im direkten Vergleich mit der ekelhaften, heuchlerischen Vorführ-Doppelmoral eines Honig im Kopf, wo am Ende gar propagiert wird, dass nur im Schoß der Familie schwer Pflegebedürftige gut aufgehoben sind, das so was doch ganz selbstverständlich ist und auch keine große Sache, wenn man sich ganz doll lieb hat und nur mal richtig Mühe gibt (in der Hinsicht übrigens genauso furchtbar: Ich bin Sam), ist Simpel beinah schon gut. Aber das ist ja nun wirklich fast jeder Film.
Fazit
Frederick Lau und David Kross mühen sich redlich und es ist hauptsächlich ihnen zu verdanken, dass sich „Simpel“ trotz seiner Klischee-triefenden, weltfremden Mitleids-Knuddel-Masche bis zum Ende durchstehen lässt, wo er dann doch plötzlich offenbart, dass er zumindest eine vernünftige und wirklich wichtige Message im Gepäck hat, auf die er rückwirkend betrachtet halbwegs konsequent hinarbeitet. Das kann und sollte man immerhin anerkennen.
Autor: Jacko Kunze