Inhalt
Der verstörende Debütfilm des brillanten Videoclip-Regisseurs Nicolas Pesce trägt alle Merkmale eines American Gothic: ländliche Abgeschiedenheit, ein Blick in kaputte Seelen, Mord und Totschlag sowie expressive Schwarzweißfotografie. Und trotzdem widersetzt sich diese entsetzliche Ballade über ein unschuldiges Mädchen, das in der Einsamkeit der elterlichen Farm zu einem Monster heranwächst, jeder einfachen Kategorisierung. Während optisch und thematisch die Referenzen klar THE NIGHT OF THE HUNTER, PSYCHO und ERASERHEAD sind und in einer Szene im Hintergrund die zeitlose Moritat „You Think I’m Psycho, Don’t You, Mama?“ läuft, ist der Film doch ein Wanderer zwischen den Welten. Genau wie seine Protagonistin, die als Tochter eines amerikanischen Bauern und einer portugiesischen Chirurgin aufwächst. Mit einem Bein in der Heimat der Mutter, mit dem anderen auf amerikanischem Boden. Bis dieser dann in einer Abfolge albtraumhafter Szenen mit Blut getränkt wird, was das Mädchen für immer prägt und zu einem Finale führt, an dem selbst Fans hartgesottener Filmware eine Weile zu kauen haben. Das Dilemma: Wer nur Gewalt kennt, wird auch nur mittels dieser kommunizieren. Nicolas Pesce dekliniert den Wahnsinn konsequent durch und steigert die Intensität des Gezeigten, in dem er nicht jede Tat ausbuchstabiert, sondern den Filmprojektor im Kopf seines Publikums anwirft.
Kritik
Bei der Ankündigung von "The Eyes of my Mother" auf dem Fantasy Filmfest 2016 legten die Festivalrepräsentanten offen, dass Videoclip-Regisseur Nicolas Pesce den Verantwortlichen für die Promoarbeit des Festivals weder Bild- noch Trailermaterial zu seinem Erstlingswerk zur Verfügung stellen wollte. Man solle sich The Eyes of my Mother ohne Vorkenntnis und Beeinflussung, ohne Ahnung von dem, was kommen mag, ansehen, damit sich die Wirkung der 77 Minuten komplett entfalten und den Zuschauer unvorbereitet treffen könnte. Bei solchen Erzählungen drängt sich zwar oft eine geschickte Marketingstrategie in den Kopf, nach der Sichtung von Pesces Arthouseterror-Film wird aber deutlich: The Eyes of my Mother ist ein eigenartiges und verstörendes Seherlebnis, das ein Trailer tatsächlich nur verfälscht hätte darstellen können.
Ohne zu viel über den Film zu verraten, ist bei The Eyes of my Mother doch überdeutlich, dass es sich hier um einen Arthousefilm der Marke "schön aber verstörend" handelt. Der Film fällt so zweifellos in eine Sparte mit David Lynch oder gar Nicolas Winding Refn (obwohl die visuellen Noten Pesces und Refns verschiedener kaum sein könnten) und zeichnet sich durch eine visuelle und gerade kameratechnische Brillanz aus, wie sie nur das Kino wirklich erlebbar machen kann. Pesce bringt hier Bilder auf die Leinwand, die in ihrer technischen und strukturellen Perfektion zum Staunen verführen und jedes Bild des Films zu einem kleinen Kunstwerk formen. Hervorzuheben an dieser visuellen Brillanz ist aber, dass Pesce sie dem Zuschauer niemals unangenehm aufdrängt, ihn also niemals dazu zwingt den gesehenen Stoff interpretieren zu müssen, um einen Mehrwert daraus zu ziehen. Die Geschichte der isolierten Tochter, die sich im Laufe der Zeit immer mehr zur kalten Psychopathin entwickelt, funktioniert in Großeilen auch ohne die visuellen Metaphern und Symbole, die Pesce in seinem Film versteckt. Und dennoch kann man stundenlang über die Bedeutung verschiedener Kameraeinstellungen diskutieren, die Hintergründe der Familie herausarbeiten und sich allein in der analytischen Arbeit, die dieser Film nach sich ziehen kann, komplett verlieren.
The Eyes of my Mother macht somit etwas richtig, was nur wenige Filme schaffen, die sich das schwierige Label Arthouse aufdrücken: Die eigene Symbolik so gekonnt in die Darstellung des Films einzuweben, dass sie das filmische Drumherum nicht erdrückt. Viel zu viele Filmmacher evozieren mit ihren Werken den Eindruck, dass sie nur dazu erschaffen wurden, um eine gewissen Reaktion beim Publikum zu erzielen. The Eyes of my Mother kommt jedoch mit einem eigenen Anspruch daher, der sich nicht primär auf das Publikum bezieht, sondern für sich selbst stehen kann.
Stolpern tut der Film dennoch hier und da, gerade was die Narrative des Films betrifft. Bei einem visuell so berauschenden Film wie hier ist es nur ganz natürlich, dass die Erzählung oft über die Bilder anstatt durch Dialoge übertragen wird. Doch Pesce schafft es hier nicht ganz seinem Film einen eigenen Narrativ-Rhythmus zu verleihen. So strotzt The Eyes of my Mother immer wieder vor starken Einzelszenen, die aber hier und da nicht sonderlich taktvoll miteinander verknüpft wurden. Hinzukommt, dass The Eyes of my Mother die schmale Linie zum Selbstzweck dann doch ab und an überschreitet und sich etwas zu sehr an dem eigenen Grauen und Gore labt, der hier präsentiert wird. Und das obwohl der Film dies gar nicht nötig gehabt hätte, evoziert er durch seine eigenartig statische und dennoch stets aufgeladene Bildsprache doch eine Unruhe beim Zuschauer, die sich durch die gesamten 77 Minuten des Films zieht. Wie schon die Geschichte des Films wird auch das beklemmende Gefühl des Unwohlseins von Pesce hauptsächlich visuell übertragen. Und das gelingt ganz wunderbar, fühlt sich der Zuschauer über die Laufzeit doch gleichsam abgestoßen und fasziniert, wie von einem visuellen Strudel des Grauens gefangen, aus dem man nicht so schnell entfliehen möchte. Dieser hätte zu Gunsten eines etwas runderen Gefühls gegen Ende dann durchaus noch etwas länger ausfallen dürfen.
Fazit
Nach "The Eyes of my Mother" sollte man Videoclip-Regisseur Nicolas Pesce zweifellos im Auge behalten. Sein Arthouseterror ist kinematographisch ein absoluter Hochgenuss, dazu stark gespielt und atmosphärisch von einer bedrückenden Kälte und Ruhe, die einem die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Narrativ ist das Ganze ab und an noch ein wenig holprig geraten, "The Eyes of my Mother" tut sich schwer damit einen eigenen Rhythmus zu kreieren. Dennoch ist Nicolas Pesce hier ein visuelles Ausnahmewerk gelungen, welches mitnimmt und trübt, verstört und beeindruckt, seinen Horror ganz unaufdringlich in bedrückender Ruhe evoziert und damit von einer symbolischen Subtilität lebt, die viele andere Regisseure vermissen lassen.
Autor: Thomas Söcker