Inhalt
Die Frau, die in dem Zug sitzt, der durch Sichuan fährt, ist nicht zu sehen, zu sehen sind nur Bäume, Flüsse, Seen und Häuser, unterbrochen von dunklen Tunneldurchfahrten. Vielleicht ist sie eine der zwei Frauen, die uns später in Leshan begegnen, am Fluss, beim Friseur, eingeschlafen auf einer Fensterbank, wobei die Stadt wegen der engen Kadrierung eher zu hören als zu sehen ist.
Kritik
Bertolt Brechts Theaterstück habe mit ihrem Werk nicht mehr gemeinsam als den Titel, der auf Der Gute Mensch von Sichuan anzuspielen scheint, sagt Sabrina Zhao über ihren ersten Langfilm. Dessen fragmentarische Struktur steckt dennoch voller Referenzen und vager Verweise auf die Nicht-Vorlage. Deren Schauplatz ist zwar dem Namen nach ein realer Ort, jedoch in seiner dramatischen Darbietung ein westliches Konstrukt als Mittel der Exotisierung und Distanzierung. Einen Kontrastpunkt dazu bildet die Wirklichkeit des Titelorts.
Dorthin führt wahrscheinlich die Zugreise, die am Anfang der losen Anordnung zwischen Traum, Imagination und Darstellung oszillierenden Szenen. Keine von ihnen sei Fiktion, gibt die Filmemacherin auf einer Texttafel zu bedenken. Dennoch sind die oft ermüdend langen Aufnahmen, deren betonte Ereignislosigkeit ein typisches Kennzeichnen filmischer Debüts des Berlinale Forums ist, nicht reine Beobachtung. Allein der Winkel, aus dem die Kamera neben Passanten und dem provinziellen Stadtbild Sichuan eine angereiste Schauspielerin anvisiert, suggeriert eine heimliche Betrachterin.
Ebenfalls üblich für die experimentieroffene Berlinale Sektion ist das Spiel mit der Meta-ebene, auf dass sie Zhao immer wieder einlässt. Die junge Schauspielerin erwähnt bei einem Friseurbesuch und im Gespräch mit einer Bekannten beiläufig, dass sie hierher auf der Suche nach Inspiration für die Rolle in einem abstrakten Film gekommen sei. Ein Film, basierend auf Brechts Stück, aus dem sie Passagen vorliest. Nacherzählte Träume verwischen weiter die Grenze zwischen Imagination, Realität und stilisierter Ödnis.
Fazit
Die Motive und Aussagen, die sich in Sabrina Zhaos traumwandlerische Exkursion an den wahrhaftigen Schauplatz einer fiktiven Handlung hineininterpretieren lassen, sind ebenso zahlreich wie beliebig. In erschöpfenden Endlos-Einstellungen verfolgt die Filmemacherin in ihrem abendfüllenden Debüt weniger ein konkretes dramaturgisches Ziel als Fetzen von Träumen und Eingebungen. Entstanden ohne Drehbuch und vorgegebene Struktur, bleibt den kühlen Bildern als Verankerung einzig die Anspielung auf den Klassiker, von dem sie sich nachdrücklich distanziert. So bleibt namenlose Nichtigkeit.
Autor: Lida Bach