Inhalt
Von der so genannten globalen „Kontamination“ abgeschottet, leben scheinbar gerettete Außenweltler in einer unterirdischen Anlage, darunter auch der junge Lincoln Six Echo (Ewan McGregor). Deren Leben wird stark reglementiert und durchgeplant, so dass der Sonderling schnell Verdacht schöpft. Als er mit seiner Freundin Jordan Two Delta (Scarlett Johansson) schließlich die Flucht antritt, entdeckt er die wahre Bedeutung der Anlage, die vom skrupellosen Dr. Merrick (Sean Bean) geleitet wird. Die Insassen leben eine Lüge, und sie sind nur das Abbild zahlungskräftiger Kunden...
Kritik
Wer den Namen Michael Bay hört, denkt dabei unweigerlich an Brachialaction und stylische Bilder. Mehr nicht. Nachdem der Kalifornier sich höchstens mit der Buddy Movie-Variante „Bad Boys“ oder dem sehr gelungenen „The Rock“-Actionspektakel einen Namen machte, manifestierte sich trotzdem schnell sein Ruf als Popcorn-King ohne Sinn und Verstand – wirksam für das Publikum, Gift für Kritiker. Mit der Verfilmung von „Die Insel“, die auf dem Roman „Spares“ von Michael Marshall Smith basiert, wagte sich der Regisseur aller Unkenrufen zum Trotze an einen schweren, dystopischen Stoff. „Hoppla“, ging es mir durch den Kopf, und die Geschichte versprach ja wirklich einen vielschichtigen, spannenden Film – zu schön um wahr zu sein?Es ist zumindest teilweise zu schön, um wahr zu sein. Bay wagte sich tatsächlich an eine Verschwörungsgeschichte, die viel Spannendes und Unvorhersehbares in sich birgt.
Hier hätte sogar seine spezielle Werbefilmästhetik hineinpassen können, die schon in seinen Vorgängerfilmen teils für offene Münder gesorgt hatte. Und die kann auch in „Die Insel“ wieder überzeugen, wenn da haufenweise mit Verzerrungen, Geschwindigkeitsanpassungen oder ungewöhnlichen Kameratechniken hantiert wird. Brachiale Schnitte sorgen zeitweise für sehr viel Dynamik - aber Moment mal! Sind Verschwörungsthriller nicht eher was für Denker? Für diejenigen, denen solche Bilder eher wider- als fürsprechen? Jedenfalls gibt sich der Film (anfangs) redlich Mühe, nicht zu bombastisch daher zu kommen. Danach passiert leider das, was man als einigermaßen anspruchsvoller Filmfan bzw. Verschwörungsfreak befürchtet hatte - die Flucht der beiden wandelt sich plötzlich in ein typisches Bay-Feuerwerk.Bildlich gesprochen zerbröselt der Regisseur dann auch genau das, was er sich in den ersten Filmminuten so respektabel aufgebaut hatte.
Dann werden wieder abgedreht inszenierte Verfolgungsjagden ausgepackt, die überhaupt keinen Bezug zur Story darstellen. Hauptsache, da rollen tonnenschwere Gleisräder (War da nicht was mit schwebenden Bahnwaggons?) als Todesfallen auf die Straße, und eine Hausbeschriftung samt Gerüst wird genüsslich zerlegt sowie der Einsatz dutzender Kameras gerechtfertigt. Man könnte meinen, dass sich Bay zuerst schön zurückgehalten hatte, um einen Tobsuchtsanfall später lieber wieder die halbe Stadt in Schutt und Asche zu verwandeln. Wie gesagt, es war wirklich zu schön, um wahr zu sein...Passend dazu präsentiert sich auch die Story, die eben nur da seine Stärken ausspielt, wo Bay nicht auf Action setzen durfte. Die Anlage und seine Bewohner, der Konflikt mit dem größenwahnsinnigen Direktor, der Plan eines scheinbar erfüllten Lebens – da schlummerte sehr viel Potenzial, das bis zum Schluss hätte durchhalten können. Von den Dialogen kann man nicht behaupten, dass sie jederzeit passgenau sitzen, aber dennoch ein manierliches Niveau hielten. Sobald jedoch die Action im Vordergrund ist, pfeift der Plot auf Figurenzeichnung, Nachvollziehbarkeit und sinnvolle Dialoge.
Diese Zweiteilung kann auch Sinn machen, aber wenn man für die Hälfte des Films den Aufbau grundlegend verändert und plötzlich alles vergisst, dann haben wohl mehrere Köche den Brei verdorben. Einzig das Finale kann da noch ein wenig hervorstechen, da man gezwungen war, die Elemente des Beginns wieder einzubauen.Dagegen lässt sich sagen, dass den Schauspielern eine weitgehend gleichbleibende Performance bescheinigt werden kann. Positiv erwähnt werden können Ewan McGregor und Sean Bean, die als Hauptakteure eine saubere Trennlinie zwischen sich aufbauen können, so dass man sich sogar noch mehr dieser Gegenüberstellung gewünscht hätte. Scarlett Johansson dient hier meist nur als schmückendes Beiwerk, da muss man ihr ankreiden, dass sie ihre Rolle in den wichtigen Momenten nicht auszuspielen vermag. Die Nebenrollen sind dabei zu stiefmütterlich angelegt worden, um im Gedächtnis haften zu bleiben, und da können gar bekannte Gesichter wie Michael Clarke Duncan oder Steve Buscemi nichts mehr retten, wenn ihre Parts in der Bay-typisch mit Komik gefärbten Art angelegt sind.
Fazit
Es hätte doch so schön werden können – die visuelle Kraft Michael Bays in einem dystopischen Thriller, das wäre wie Weihnachten und Ostern zusammen gewesen. Leider hatte der Kalifornier sehr dicke Hummeln im Hintern, und so versemmelt er sich einen tollen, gut geschriebenen und viel versprechenden Beginn durch genau die sinnfreie Action, die ihm schon vorher einen entsprechenden Ruf eingebracht hatte. So kann man „Die Insel“ nur als zwei Filme in einem ansehen, dessen widersprüchliche Hälften sich in keinster Weise ergänzen.
Autor: Sascha Wuttke