Inhalt
Georgien, Herbst 1991. Der eigensinnige zwölfjährige Toma lebt mit seiner Großmutter in Tiflis. In der Schule gerät er immer wieder in Schwierigkeiten, weil er sich den Hänseleien der anderen Jungen widersetzt, die ihn wegen seiner Zuneigung zu Anana verspotten. Dann bekommen Tomas Vater Nemo Besuch von seiner Großmutter. Toma kann sich nicht an Nemo erinnern, da dieser die Familie verließ, als Toma erst zwei Jahre alt war.
Kritik
Zwischen historischer Chronik, elegischer Betrachtung familiärer Bruchlinien und magisch-realistisch angehauchtem Poem wirkt die Story George Ovashvilis melancholischen Jugenddramas so verloren wie der kindliche Hauptcharakter in seiner brutalen Welt. Jene ist das Georgien Anfang der 90er Jahre, unmittelbar vor den politischen Erschütterungen des postsowjetischen Kaukasus. Hier erlebt der zwölfjährige Toma (Giorgi Gigauri) in einer tristen Kleinstadt bei seiner Großmutter eine trostlose Kindheit. Jene nimmt mit dem unerwarteten Auftauchen seines ihm fremden Vaters ein harsches Ende, das zugleich einen geschichtlichen Bruch markiert.
Der Hintergrund des sich anbahnenden Bürgerkriegs, der die Region vom Dezember 1991 bis 1993 überzog, erhebt die reduzierte Handlung zur komplexen politischen und sozialen Parabel. Bereits vor Kriegsbeginn ist Tomas Alltag geprägt von Gewalt. Seine Mitschüler attackieren ihn grundlose in einer ähnlichen Konstellation wie jener, die ihm später sein Vater berichtet. Nach Jahren der Abwesenheit aufgrund einer Haftstrafe wegen Totschlags steht Nemo (Givi Chuguashvili) plötzlich vor der Tür, um seinen Sohn über ein Wochenende in sein Dorf mitzunehmen.
Tomas fragiles Verständnis von Herkunft und Identität kollidiert mit der bitteren Realität eines alten Mannes, der ebenso dem Tod geweiht ist wie das Vaterland des stillen Protagonisten. Ihn stellt ein Jagdausflug mit Nemo, der ihm ein Gewehr vermacht, wiederholt vor eine prophetische Entscheidungsfrage. Tomas Unwillen, einen Hirsch zu schießen, betrachtet die pathosschwere Inszenierung mit chauvinistischer Skepsis. Gewalt erscheint in den malerischen Naturkulissen ebenso wie im gesellschaftlichen Umfeld unausweichliche Notwendigkeit. Frauen sind in diesem Männerkosmos - wenn überhaupt vorhanden - nur passive Objekte wie seine Schulkameradin Anana.
Fazit
Die Wiederbegegnung mit einer fast vergessenen Vergangenheit und Familiengeschichte wird in George Ovashvilis patriarchalischer Parabel zum Sinnbild einer nationalen Bewusstwerdung im Schatten heraufziehenden Krieges. Dessen soziologischen und ideologischen Kontext spart der karge Plot genauso aus wie die psychologischen Feinheiten der Figuren. Selbige sind weniger Individuen als Archetypen in der düsteren Szenerie. Der verleihen lange Einstellungen, fahles Winterlicht und schattige Farbtöne eine archaische Gravität. Die spärlichen Dialoge und mystisch angehauchte Traumbilder streuen süßliches Sentiment in das schroffe Zeitbild, dessen Tiefgang schale Behauptung bleibt.
Autor: Lida Bach