Inhalt
Der junge Yakov (Dave Davis) möchte die strenge chassidische Gemeinde in Brooklyn am liebsten verlassen, weil er seinen Glauben verloren hat. Da er dringend Geld braucht, stimmt er widerwillig dem Angebot des Rabbiners zu, die nächtliche Totenwache für ein verstorbenes Gemeindemitglied zu übernehmen. Kurz nach seiner Ankunft in dem baufälligen Haus wird Yakov klar, dass hier etwas sehr, sehr falsch läuft. Schon bald findet sich der junge Held in einem unheimlichen Albtraum wieder, der von einem furchteinflößenden Wesen orchestriert wird: Einem „Mazik“ wie im jüdischen Volksglauben jener Totengeist bezeichnet wird. In dieser Nacht des surrealen Schreckens muss sich Yakov nicht nur bösen Geistern, sondern auch den Dämonen seiner Vergangenheit stellen.
Kritik
Mit Arkane drehte Keith Thomas bisher lediglich einen Kurzfilm, nun wagte er mit The Vigil - Die Totenwache den Sprung zum ersten Spielfilm, bei dem er nicht nur die Regie führte, sondern zu dem er auch gleich das Drehbuch mit beisteuerte. Seine Premiere feierte der Horrorfilm im September 2019 auf dem Toronto International Film Festival, nun findet er nach langer Wartezeit endlich seinen Weg in die ersten Kinos, darunter auch in Deutschland. Und dabei darf man sich auf mehr als eine weitere bloße Gruselshow einstellen.
In The Vigil treffen Religion und Horror in einer interessanten Kombination aufeinander. Mit der Fokussierung auf den jüdischen Glauben und damit verbundenen Bräuchen rund um die sogenannten Shomer, die traditionell in der Nacht vor der Beerdigung über einen Verstorbenen wachen und dessen Seele mit Gebeten beschützen, greift man ein unverbrauchtes Thema auf, das sich für einen Horrorfilm geradezu anbietet. Dass die Totenwache in The Vigil kein gutes Ende nehmen wird, ahnt man natürlich schon vorher. Ziemlich schnell geschehen währenddessen unheimliche Dinge, die für knisternde Spannung sorgen.
Dabei weiß Regisseur Thomas seinen düsteren, klaustrophobischen Schauplatz gut auszunutzen, um inmitten der Dunkelheit eines alten Hauses immer wieder mit der Wahrnehmung des Protagonisten und gleichzeitig auch mit der des Zuschauers zu spielen. Ist der ganze Wahnsinn nur Einbildung? Oder hat hier ein Dämon seine Finger im Spiel? Manch Jump Scare mag dabei etwas plump inszeniert sein, ansonsten ist die Atmosphäre dank der gekonnten Beleuchtung, der geschickt eingesetzten Musik, der tollen Geräuschkulisse sowie der bedrohlichen Stimmung insgesamt ziemlich gelungen, trotz minimalistischer Herangehensweise.
Ähnlich wie in The Babadook oder Under The Shadow steckt hinter alledem thematisch mehr als ein einfacher Spuk, The Vigil erlaubt sich mit seinem inszenierten Schrecken gleichzeitig einen gezielten Kommentar auf den allgegenwärtigen Antisemitismus. Judenfeindlichkeit gab es nicht nur zur Zeit des Nationalsozialismus, es gibt sie auch heute noch überall. Die Traumen, die dadurch entstanden sind oder noch immer entstehen sind es, die für die Betroffenen den Weg zur Normalität verhindern. Dieses Problem verknüpft der Film clever mit seiner Horrorgeschichte, worin ein Dämon sich von der Angst und Pein seiner Opfer ernährt. Ein Entkommen gibt es hier nur, wenn man sich von der Last befreien kann.
Das Konzept ist durchaus gut erdachdacht, es ist immer begrüßenswert, wenn Horrorfilme auch eine Message haben. Doch gerade im letzten Drittel, wenn The Vigil eigentlich auf einen emotionalen Höhepunkt zuläuft, wirkt er, vor allem im Vergleich zu den beiden anderen genannten Genrevertretern, doch ein wenig kraftlos, da er nicht tief genug in sein Thema vordringt, um die volle Wirkung zu entfalten, die dabei möglich gewesen wäre. Anerkennung für seine Intention verdient er aber nach wie vor.
Fazit
Ein atmosphärisch gelungener Horrorfilm, der zugleich eine wichtige Botschaft in seine Gruselgeschichte einbettet. Schade nur, dass "The Vigil" gen Ende der emotionale Punch ein Stück weit verloren geht und er, trotz seiner eigentlich frischen Note, gelegentlich doch auf manch generischen Schockeffekt zurückgreift. Dennoch ein spannender, sehenswerter Genrebeitrag mit guten Ideen.
Autor: Sebastian Stumbek