Inhalt
Volksheld und Freiheitskämpfer oder gemeingefährlicher Verbrecher? Im Australien des 19. Jahrhunderts wird der in die einfachen Verhältnisse einer irischen Einwandererfamilie geborene Edward "Ned" Kelly zum Volksfeind Nummer eins. Mit seiner Bande, den "Söhnen der Schande", leistet er der Polizei Widerstand, bis die Situation eskaliert. Kelly baut sich eine Rüstung und bereitet sich auf die große Schlacht vor...
Kritik
Bevor der Film überhaupt beginnt, werden wir bereits darüber aufgeklärt, dass nichts von dem, was wir gleich sehen werden, der Wahrheit entspricht. Der Titel, Outlaws – Die wahre Geschichte der Kelly Gang (oder im Original: The True History of the Kelly Gang), führt damit geflissentlich in die Irre. Der nunmehr vierte Spielfilm des inzwischen 46-jährigen Justin Kurzel (Assassin's Creed), basierend auf dem gleichnamigen Roman von Peter Carey, findet in diesem (augenscheinlichen) Widerspruch indes seine erzählerische Devise. Hier nämlich geht es nicht um die auf Tatsachen basierende, empirisch verbürgte Gegebenheit. Es geht um das Recht, seine eigene Geschichte konstruieren und erleben zu können. Und welche historische Figur bietet sich für einen derartige Diskurs besser an, als der in der öffentlichen Wahrnehmung extrem zwischen Freiheitskämpfer und Mörder oszillierende Ned Kelly?
Verlagert auf Binnen- und Rahmenhandlung, sehen wir einerseits, wie Ned Kelly (George MacKay, 1917) sein Leben zu Papier bringt, um dieses später seiner Tochter näherzubringen. Dass es weder dieses Später, noch eine Tochter geben wird, veranschaulicht Justin Kurzel in der eigentlichen Erzählung, in der wir Zeuge werden, wie Ned Kelly zu einem jungen Mann heranwachsen sollte, dessen erfahrene Erziehungsmethoden vor allem Lügen, Schweigen und Gewalt gewesen sind. Wie schon die Vorlage von Peter Carey, entfaltet sich auch Justin Kurzels Outlaw – Die wahre Geschichte der Kelly Gang als fiktionalisierte Autobiographie, die sich im Kern zwar der allgemein geläufigen australischen Folklore bedient, darüber hinaus aber den Mut besitzt, sich von jeglichen stilistischen Zuschreibungen loszulösen. Unter diesen Umstand kristallisiert sich gewissermaßen eine filmhistorische Klammer heraus.
Der erste Langfilm der Filmgeschichte nämlich war Die Geschichte der Kelly-Bande von Charles Tait aus dem Jahre 1906. Ein Werk, dessen Bedeutsamkeit eigentlich kaum in Worte zu fassen ist. Fast 115 Jahre später kann Outlaw – Die wahre Geschichte der Kelly Gang nun nicht nur auf einen reichhaltigen Fundus an cineastischem Überdruss zurückblicken. Er kann sich auch den Mut herausnehmen, seine Geschichte auf eigene Weise zu entfalten, das Erfundene mit den Fakten kreuzen, um ein neues Ergebnis zu kreieren. Das gelingt Justin Kurzel auch die meiste Zeit, wenn er sich denn nicht zu sehr auf stereotype Nebencharaktere wie Charlie Hunnam (Sons of Anarchy) oder Nicholas Hoult (X-Men: Zukunft ist Vergangenheit) versteift. Diese mögen durchaus gut gespielt sein, geben der Handlung aber keinen neuen Drive.
Ohnehin funktioniert diese Punkrockversion des Ned Kelly-Mythos vor allem aufgrund des grandiosen Auftritts von George McKay. Wenn der junge Brite jeden einzelnen Muskel seines Körpers anspannt, scheint es fast so, als würde sich seine Physis zu einem einzigen Sehnenstrang verdichten. Gleichzeitig sehen wir ein desillusioniertes Kind, emotional verwahrlost und ausgedörrt wie die Landschaften, durch die die Kamera von Ari Wegner immer wieder elegisch treibt. Totholz. Kurzel transzendiert den Historienfilm durch immer deutlicher entartende Coming-of-Age-Mittel, die die Charakterstudie über verlorene Söhne in einem gestohlenen Land auf eines der Leitmotive im Schaffen von Justin Kurzel zurückführen: Die Erforschung der Gewaltentstehung respektive die Mechanismen des Kontrollverlusts. Wenn Kurzel etwas beherrscht, dann der wahren Natur von sozialer wie zwischenmenschlicher Verrohung nachzuspüren. Vor allem die letzten 15 Minuten bleiben in Erinnerung.
Fazit
Mit seinem vierten Spielfilm kehrt Justin Kurzel gewissermßen zurück zu seinen Wurzeln. Wie schon "Die Morde von Snowtown" ist auch "Outlaws – Die wahre Geschichte der Kelly Gang" eine unangenehm brodelnde Erforschung von Gewalt und Kontrollverlust. Justin Kurzel löst sich dabei von allen stilistischen Zuschreibungen und gibt den Söhnen eines gestohlenen Landes die Möglichkeit, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Punkrock bis zum bitteren Ende.
Autor: Pascal Reis