Inhalt
GEFANGEN IM NETZ ist ein filmisches Experiment, das ein Schlaglicht auf das Tabuthema Missbrauch an Jugendlichen im Netz wirft: Drei volljährige Schauspielerinnen, drei Kinderzimmer, 10 Tage und 2.458 Männer mit eindeutigen Absichten. Die drei sehr mädchenhaft aussehende Schauspielerinnen, die sich im Netz mit fiktiven Profilen als 12-Jährige ausgeben, chatten aus sorgfältig nachgebauten ‚Kinderzimmern’ in einem Filmstudio mit Männern aller Altersgruppen. Die „Mädchen" wurden von den Männern online aufgespürt und kontaktiert. Die meisten der Männer fragen nach Sex am Bildschirm und schicken explizite Fotos oder Links zu Pornoseiten. Einige versuchen, die Mädchen zu erpressen. Der Film erzählt in fesselnden Bildern das Drama der drei Schauspielerinnen vom ersten Casting bis zu den ersten Treffen mit den Männern, die sie kontaktiert haben. Sechs Kameras drehen die Ereignisse mit, die Dreharbeiten werden psychologisch und juristisch umfassend betreut und begleitet. Die Täter werden mit ihren eigenen Waffen verfolgt, so werden aus den Jägern Gejagte. Ein Film, der aufrüttelt!
Kritik
Die Phrase, dass das Internet ein gefährlicher Raum sei, mussten wohl viele von oftmals schlecht informierten Eltern, Lehrern und Verwandten in einer Vehemenz hören, dass sie in ihrer allgemeinen Paranoidität kaum ernstzunehmen ist. Umso wichtiger scheint es, dass ein Werk wie Gefangen im Netz die Konkretion sucht. Der Film widmet sich dem weit verbreiteten Phänomen des "Groomings", der sexuellen Belästigung, Manipulation und über die Grenzen des Digitalen hinausreichende Verfolgung Kinder und Jugendlicher. Als Aufklärungsfilm angedacht liegt eine alternative Schnittfassung vor, die um gute 30 Minuten kürzer ist, um jüngeren Zuschauern an Schulen und anderen sozialen Einrichtungen sexuell explizite Inhalte zu ersparen. Die längere Fassung, die sich an ein erwachseneres Publikum richtet, liegt dem Verfasser dieser Kritik vor und schreckt vor Nacktheit nicht zurück.
Damit liegt dem Werk ein Marketing-Konzept zugrunde, dass aufzugehen scheint: jüngere Zuschauer werden (hoffentlich) durch die geschnittene Fassung nicht verstört, sondern aufgeklärt. Während des Filmes wird auch keine allgemeine Internet-Paranoia verbreitet, die Kindern generell von der Nutzung abrät. Erwachsenere Zuschauer, die in großen Teilen für die Sicherheit der Kinder zu sorgen haben, werden währenddessen mit expliziten Bildern konfrontiert, die in vollem Umfang eingefangen, mit musikalischer Untermalung besonders bedrohlich in Szene gesetzt werden. Dieses Auskosten des verstörenden Moments soll als Wachrüttler potentieller Aufsichtspersonen dienen. Gleichzeitig konnten Ausschnitte des Bildmaterials genutzt werden, um einen Trailer mit beängstigendem Spannungsaufbau zu schaffen, der bisweilen wie die Vorankündigung eines Spielfilms anmutet. So kann man effizient um Zuschauer werben, die man für das Thema zu sensibilisieren versucht. Mit Erfolg: Gefangen im Netz ist in Tscheschien eine der bestlaufendsten Dokumentationen aller Zeiten.
Interessant ist dabei der Zugang, den das Regie-Duo rundum Vít Klusák und Barbora Chalupová wählt. Drei Schauspielerinnen sollen in einem Experiment 12-jährige Mädchen spielen. Die Kamera begleitet sie bei der Preparation. Ihr mädchenhaftes Aussehen wird betont und es werden Studio-Räume so eingerichtet, dass sie wie Kinderzimmer aussehe. Interviewsequenzen mit den Darstellerinnen, Experten und dem Regie-Team betten die beängstigenden Abläufe der kommenden Laufzeit ein - gewagt wurde ein Experiment mit erschreckendem Ergebnis. Gerade dieser Zugang, deses probeartige an die Hand nehmen des Zuschauers, provoziert den schockierenden Enthüllungeffekt. Man möchte kaum glauben, wie viele Männer sich auch nach mehrfacher Betonung des Alters von nur 12 Jahren nicht davon abhalten lassen, die Minderjährigen zu manipulieren und sexuell zu verstören.
Doch Gefangen im Netz funktioniert nicht als bloßer Weckruf, nicht als bloße Dokumentation der Abläufe - womit schon viel gewonnen wäre. Stattdessen arbeitet er durch die Anwesenheit eines Expertenteams das Internet als Raum auf. Warum sind Menschen geneigter, Straftaten im Internet zu begehen, als im "echten" Leben? Warum lassen sich Minderjährige auf die sexuellen Annäherungsversuche ein? Welche Beziehung bildet sich zwischen Täter und Opfer? Klar wird vor allem, dass das wirklich Schockierende die Selbstverständlichkeit ist, mit der sich im Internet solche Phänomene bilden. Dadurch stellt sich der Zuschauer die übergeordnete Frage, wie denn mit diesem barrierefreien Raum umzugehen sei. Gerade diese Einbettung und Offenheit für weiteres Fragen lässt die teils auf Schockmomente ausgerichtete Strategie des Filmes nicht unangenehm auffallen, sondern gewinnt ihnen einen phänomenologischen Moment ab: die Nachvollziehbarkeit des Schockmoments, wenn die Gewalt durch die freundliche Oberfläche sozialer Netzwerke bricht.
Fazit
"Gefangen im Netz" ist ein gelungener Weckruf zum Thema "Cybergrooming". Darüber hinaus stellt er die Frage, wie mit dem barrierefreien Raum des Internets umzugehen sei, in dem vieles normalisiert ist, was nicht normalisiert gehört. Seine drastischen Darstellungen fügen sich sinnvoll in die Gesamtästhetik ein und werden wohl dankbarerweise in einer für Kinder geeigneten Schnittfassung heruntergeschraubt.
Autor: Maximilian Knade