Inhalt
Außenseiter Willard lebt noch bei seiner Mutter und wird insbesondere von seinem Vorgesetzten ausgenutzt und gedemütigt. Er beginnt heimlich, im Keller Ratten zu trainieren und zu züchten. Besonders zwei Exemplare stechen dabei heraus: Sokrates und Ben.
Kritik
Willard Stiles (in seiner ersten, größeren Rolle: Bruce Davison, X-Men 2) ist – um nicht lange um den heißen Brei herum zu reden – ein ganz armes Würstchen. Nach dem Tod des Vaters ist er nicht nur vollends von der herrischen Mutter vereinnahmt und mit der Manipulation von falschen Schuldgefühlen in die Rolle des ewigen Kindes und Ehemann-Ersatz gleichzeitig degradiert worden (Psycho lässt dezent grüßen), sondern der ohne jegliches Selbstwertgefühl aufgewachsene Bursche wurde auch noch von Daddy’s alten Geschäftspartner Martin (Ernest Borgnine, Die Klapperschlange) um die Führung des Familienbetriebs ausgebotet. Nun schuftet er als Bückling für ihn, lässt sich von allen und jedem herumschubsen und lebt völlig isoliert von einer selbstbestimmten Identität. Die Party zu seinem 27. Geburtstag erinnert an einen ganz gruseligen Kindergeburtstag, geladen sind ausschließlich Mama’s greise Freunde, denn Willard selbst besitzt so etwas nicht. Eine hundeelendes Dasein, bis aus einer geplanten Schädlingsbekämpfung eine besondere Freundschaft gedeiht.
Denn anstatt ein paar Ratten im heimischen Garten - wie von Mutter aufgetragen - zu beseitigen, nimmt der junge Mann die Nager im Keller in Obhut. Dort vermehren sich diese nicht nur ganz prächtig, sondern Willard baut eine ganz intime Beziehung zu ihnen auf. Lernt mit ihnen zu kommunizieren, lehrt sie Kommandos und schafft sich so was wie ein geheimes, kleines Königreich. Wo er endlich mal das Sagen hat, angesehen und respektiert wird und darüber hinaus sogar entscheiden kann, wem Vorzüge zu Teil werden - oder eben nicht. Zwei seiner neuen Freunde kristallisieren sich als besonders clevere Alphatiere heraus: Der weiße Sokrates und der dunkle Ben. Sokrates genießt bei Willard das höhere Ansehen, darf mit ihm gemeinsam im Schlafzimmer nächtigen, während Ben immer wieder degradiert wird und sich unterzuordnen hat. Eine strickte Hierarchie, wie sie Willard Zeit seines Lebens auch am eigenen Leib erfahren hat, endlich mal am anderen Ende der Nahrungskette sitzend. Bis ihm die neue Macht letztlich dazu bringt, etwas an seinem tristen Dasein aktiv zu ändern. Aber Karma ist manchmal halt eine…
Willard ist eigentlich nur begrenzt als Tier-Horrorfilm zu bezeichnen, genauer genommen lassen sich nur die letzten Minuten glasklar in dieses Sub-Genre einordnen, obgleich diese auch einen ganz anderen Ursprung in sich haben. Vielmehr handelt es sich um eine Parabel – in dem Fall fast sogar Fabel – über Machtstrukturen, soziale Gefälle und wie sich diese auswirken, wenn plötzlich die Herrschaftsverhältnisse in einer Art Untergrund-Subkultur verlagert werden. Der ewige Unterdrückte bekommt plötzlich absolute Gewalt. Nicht über seine Unterdrücker, dafür über sein eigenes, kleines Volk, doch wie soll er Gerechtigkeit jemals gelernt haben? Er kennt nur den Weg der absoluten, totalitären Dominanz. In der er die Regeln macht und alle ihm Untertan sind. Sieht nicht die Parallelen zu seiner bisherigen Existenz und beschwört zeitgleich zum eigenen Widerstand den Putsch aus den eigenen Reihen hervor. Willard besitzt tatsächlich mehr Elemente eines klassischen Dramas – beinah schon wie ein sehr kleiner Shakespeare – und sozial-analytische Qualitäten als in der Funktion eines Horrorfilms. Dementsprechend erzielt er seine Wirkung nicht aus der Spannung oder dem Effekt, sondern mehr aus seiner reflektierten, leicht satirischen Aussage. Das ist jetzt nicht unglaublich aufregend oder meisterlich, aber schon sehr interessant und relativ außergewöhnlich. Zudem auch symbolisch ambivalent zu betrachten: Die weiße Ratte genießt Privilegien, die schwarze wird ausgesperrt. Kann für Engelchen und Teufelchen stehen, den Versuch die dunkle Seite der eigenen Möglichkeiten so lange es geht von sich fern zu halten, oder natürlich auch für einen rassenideologisch-kritischen Ansatz.
Fazit
Ein menschlicher Außenseiter macht sich sein animalisches Pendant erst zum Freund und dann zu Untertan. Von seinem gesamten Wesen eine ganz spezielle Variante des Tier-Horrorfilms, in die er sich auch nur bedingt einordnen lässt. Noch drastischer als Hitchcock’s „Die Vögel“, der als solcher perfekt funktioniert, aber doch mehr zu erzählen hat. „Willard“ ist da anders. Er erzählt etwas Anderes und verpackt es nur geringfügig in diesen Mantel. Das macht er nicht perfekt, aber durchaus sehens- und erfahrenswert.
Autor: Jacko Kunze