Auch wenn das Jahr 2020 einige schwerwiegende Veränderungen mit sich bringen sollte, hat sich eine Sache trotz des immer mehr abklingenden Filmangebots nicht geändert: Es gab den ein oder anderen entdeckungswürdigen Geheimtipp. In dieser Liste wollen wir euch nun 10 an der Zahl vorstellen, die dieses Jahr eine offizielle Kinoauswertung erhalten haben, direkt auf DVD oder Blu-ray oder auf einem Streamingdienst erschienen sind. Viel Spaß!
Diesist eine Liste von Souli.
10: The Fanatic
Von allen Seiten verrissen, besitzt "The Fanatic" letzten Endes dann doch überraschende Qualitäten. Damit ist nicht nur das ambivalente Spiel von Hauptdarsteller John Travolta gemeint, sondern vielmehr Fred Dursts Vision, einen vom Kino besessenen Autisten zum Ausdruck unserer Zeit zu verheben. Obglich Fred Durst als Filmemacher noch viel lernen muss, beweist er mit "The Fanatic" immerhin schon einmal den Mut, ungemütlich zu sein und missachtet dabei bewusst Grenzen, die man eigentlich nicht übertreten sollte. Man kann die allgemeine Abwehrhaltung verstehen.
9: Persischstunden
Tritt so wunderbar unheroisch an die Holocaust-Thematik herantritt. Hätte man zuvor noch annehmen können, hier wieder prestigeträchtige Historienkost (Kotz) geboten zu bekommen, ist "Persischstunden" ein spannend ambivalenter Film über Freundschaft, Verrat, Kommunikation und die unmögliche Möglichkeit von männlicher Intimität an einem Ort, an dem alles für den Tod und Grauen steht. Das ist nicht nur berührend, weil Persischstunden seinen Figuren immer wieder Brüche ermöglicht, sondern auch überraschend unterhaltsam, wenn der Lageralltag plötzlich in die Gerüchteküche von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" abdriftet. Und darüber hinaus sieht das Ganze wirklich nach Kino aus, teilweise wie ein Horror-Märchen – und ist grandios gespielt.
8: The Climb
Sensationell bebildert, fantastisch gespielt und sehr amüsant. "The Climb" ist eine der besten Indie-Filme der letzten Jahre und eine wunderbare Abhandlung über die Höhen und Tiefen von Beziehungen.
7: Tommaso und der Tanz der Geister
Das Werk von Abel Ferrara wirkt wie eine Mischung aus "Leid und Herrlichkeit", "Achteinhalb" und "Snake Eyes". Das klingt überladen, gerät in den Händen des ehemaligen Enfent Terrible aber zur selbsttherapeutischen Versuchsanordnung, die auf stimulierende Art und Weise in das Seelenleben seines Protagonisten eintaucht. Willem Dafoe brilliert als strauchelnder Tommaso – der eigentlich Abel Ferrara ist-, in dessen Inneren ein von Wut geschwängerter Gefühlscocktail aufbrodelt, der sich aus Schuldgefühlen, Besitzansprüchen und Fluchtgedanken ergibt. Die wilden Ferrara-Zeiten sind zwar vorbei, dafür gibt der Mann nun auf weise und freimütige Art und Weise spannende Einblick in seine Ängste und Sehnsüchte. Gerne mehr davon.
6: Königin
Das bittere Nachspiel eines Stepmom-Pornos. May el-Toukhy lotet mit ihrem psychologisch-aufgeladenen Drama "Königin" nicht nur gekonnt moralische Grenzen aus, sondern schafft es auch, dieses vom Reiz des Verbotenen beseelte Spannungsgeflecht in einen packenden Gegenwartskommentar zu verpacken. Darüber hinaus liefert Trine Dyrholm eine sensationelle Performance als verführerisch-berechenende Lebenszerstörererin.
5: The Assistant
Unbeirrt offenbart Kitty Greens unterkühltes Spielfilmdebüt den menschenverachtenden Machtapparat, der monströse Persönlichkeiten wie Harvey Weinstein aus Opportunismus oder Verwundbarkeit in die Hand spielt. Ihre Systemkritik vibriert von der unterdrückten Spannung eines Psychothrillers, der sich in der betont unglamourösen Kulisse einer Filmproduktionsfirma entfaltet. Konzentrierte Einstellungen und dramaturgische Reduktion kreieren ein erstickendes Klima psychologischer Manipulation, hierarchischer Entmachtung und sexistischer Erniedrigung, in dem Opfer gezielt in die Rolle von Mitwissenden gedrängt werden und schließlich in die von Mithelfenden.
4: Wir beide
ine sehr schöne, (un-)angenehme Überraschung in diesem Kinojahr. Konnte man aufgrund des Trailers und noch mehr des Posters davon ausgehen, dass Filippo Meneghetti hier eine sehr obligatorische (Problem-)Geschichte über homosexuelles Outing im Rentenalter in Szene setzt, überrascht "Wir beide" bereits nach 20 Minute mit einem interessanten Richtungswechsel. Natürlich bleibt der Film durchweg Liebesdrama, aber Meneghetti inszeniert hier unheimlich nuanciert eine stimmungsvolle Spannungskulisse, die die körperliche, gesellschaftliche und räumliche Gefangenschaft der lesbischen Protagonisten mehr und mehr unter den Prinzipien des Genre-Kinos entfaltet. Zwar niemals aus dem Sack auf die Leinwand, sondern mit Bedacht und Umsicht, ist Wir beide eine kluge Variation des Home Invasion-Thrillers und fesselt als toll gespielter Aus- wie Einbruchsfilm über seine knackige Laufzeit von 95 Minuten überaus.
3: Exil
Gemobbt, nein, schikaniert fühlt sich Xhafer von seinen Kollegen. Weil er aus dem Kosovo kommt und weil Deutschland in Sachen Mitmenschlichkeit noch einiges aufzuholen hat. Auf der Arbeit wird er meistens irgendwie geduldet, oftmals vorgeführt, selten gelobt. Weil er aus dem Kosovo kommt. Privat irritiert ihn der Klodeckel, der hochgeklappt ist, nachdem er nach Hause kommt. Geht seine Frau fremd? Und dann die Ratten. Überall tote Ratten. Im Briefkasten, an der Haustür, im Büro. Weil die Leuten wissen, dass er Ratten hasst. Und weil er aus dem Kosovo kommt. Isst der überhaupt Schweinefleisch? Und wie spricht man seinen Namen überhaupt aus? Und, mal ganz blöd gefragt, was, wenn es nicht daran liegt, dass er ein Ausländer ist, sondern einfach daran, dass er ein Arschloch ist? "Exil" traut sich, diese Frage zu stellen - und das maximal unangenehm. Man windet sich auf dem Stuhl von links nach rechts, so unheimlich ist es, diesem Film zu folgen. Diesem Ansatz zu folgen, was ist, wenn das hilflose Gefühl der Diskriminierung zur Psychose wird. Als Psycho-Thriller erzählt, orientiert an Roman Polanski und David Lynch. Übel, geht durch Mark und Bein. Deutsches Kino, hurra.
2: Bohnenstange
Mit "Beanpole" ist dem noch erschreckend jungen Regisseur Kantemir Balagov mehr als eine bloße Aufarbeitung der Nachkriegszeit gelungen. Durch seine expressive Bildsprache und sein ungeschöntes Figurenverständnis gestaltet sich sein Film als ungeschöntes Psychogramm von verletzten Menschen, die ihren Schmerz an andere weitergeben und nach einer Erlösung streben, die ihnen verwehrt bleibt. Trotz seines schrecklichen Inhaltes verbleibt der Film in jeder Hinsicht als essentieller Abstieg, tief in die menschliche Kondition, welcher das Publikum auf unangenehme wie ehrliche Art mit den schlimmsten und komplexesten Fasern zwischenmenschlicher Charakteristiken konfrontiert. Eine meisterhafte Filmerfahrung.
1: Niemals selten manchmal immer
Frei von Sentimentalität und Klischees beleuchtet Eliza Hittman den im doppelten Sinne weiten und hürdenreichen Weg zweier Freundinnen in einer Gesellschaft, die Frauen mehr Mitbestimmungsrecht über ihre Leiche einräumt als über ihren eigenen lebendigen Körper. Herausragende Darstellerinnen tragen mit bewundernswerter Leichtigkeit die packende Exposition der fatalen Effekte eines invasiven Patriarchats, das Mädchen konditioniert, verbalen, körperlichen und emotionalen Missbrauch klaglos zu ertragen und Frauen mittels legislativer Entmündigung zwingt, den eigenen Körper als ihren naturgegebenen Feind wahrzunehmen.