Streaminale statt Berlinale. Geoblocking statt Internationalität. Markt statt Miteinander. Digital statt Dialog. Hieß es nicht, „Das machen wir nicht!“? Wurde nicht letztes Jahr vollmundig verkündet, eher gäbe es eine konsequente Absage als ein Filmfestival ohne Kino? Worte und Werte von gestern gelten wenig dieser Zeit und sind dementsprechend vergessen zu Beginn des ersten Parts der 71. Berlinale, zweigeteilt wie eine Leiche auf dem Obduktionstisch. Die Kultur ist ja sowieso tot. Und keiner betrauert sie. Das Geschäft jedenfalls soll weitergehen und ist unter dem Titel Industry Event aktuell Hauptattraktion. Wettbewerb und Preisvergaben scheinen kaum mehr als Reklamerummel für Produktionen, die sich mit Festivallogo besser verkaufen. Es käme noch ein Sommer Event, heißt es. Aber es hieß auch, der Lockdown würde zwei Wochen dauern. Es hieß, die Verschärfung würde vier Wochen dauern. Es hieß, die diesjährige Berlinale würde in gewohnter Form stattfinden oder gecancelt. Es hieß so vieles…
Cineastisch wird es höchstens für die Auserwählten der Berlinale-Jury. Während sonst kein Mensch hierzulande Kino erleben darf, wird die Jury dafür extra eingeflogen und von Quarantäne befreit. Angesichts solcher Bevorzugung würden auch Sofort-Impfungen für Jury-Mitglieder wohl niemanden wundern. Ein unmissverständliches Signal passend zur neo-klassistischen Gegenwart: Kulturelle Teilhabe ist nurmehr Vorrecht einer Elite. Das kompromittierte Privileg von Bourgeoisie und Oberschicht, sich ungestört von den infektiösen, bildungsfernen Schichten in ihrer sauberen, intellektuellen Bubble zu bewegen, wird mittels kostspieliger Schnelltests und willkürlicher Freifahrscheine frisch zementiert. Ein sich als politisch profilierendes Kultur-Event müsste - zumindest symbolisch - gegensteuern. Stattdessen verfährt es nach dem gleichen Prinzip.
Ausgenommen ist allein der im Iran unter Hausarrest stehende Regisseur und Bären-Preisträger Mohammad Rasoulof (There is no Evil). Für ihn und die nicht festivalsystemrelevanten Filmjournalist*innen existiert Kino einzig in Werbetexten. Die beschwören die „Suggestivkraft des Kinos“, die Fähigkeit „…im Kino all das sichtbar und erzählbar zu machen, was wir … nur selten wahrnehmen“ und „Kino der kleinen, präzisen Gesten und Räume“. Es wird eher das (Nicht-)Kino der kleinen Laptop Screens. Noch unklarer ist, wann - und ob - es wieder möglich sein wird, sich ins Getümmel aus Filmschätzen, Filmschaffenden und -schätzenden zu stürzen. Wohl nicht sehr bald in einer Welt, in der Landes- und Klassengrenzen zu imaginären Schutzwällen gegen übermächtige Krankheiten stilisiert werden.
Nicht zuletzt in der vagen Hoffnung, dass sich Menschen auf die Bedeutung von Filmfestivals als cineastisches Gemeinschaftserlebnis besinnen, gibt es trotz allem das Movieberak Berlinale Special. Wie immer mit Berlinale-Veteranin Lidanoir und wie noch nie mit Berlinale-Rookie Patrick.