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Das Schweigen [1963] - Levins Meinung

Souli

Von Souli in Bilder des Zerfalls: Im Klammergriff der Kontroverse – Teil 7

Das Schweigen [1963] - Levins Meinung

Einen langen Weg sind wir gekommen. Nicht nur Pascal und meine Wenigkeit, sondern der Mensch generell, wenn es um Moral, Ethik, Regeln, Gedanken und Einstellungen geht. Und was, wenn nicht das, ist Kino. Zu seiner Erscheinung wurde dem Film von Ingmar Bergman kein großer Erfolg prognostiziert, zu uninteressant, zu ruhig, zu unscheinbar schien der Film. Doch auf einmal kamen die Scharen und der Strom der Kinogänger schien nicht abzureißen. Und das ist wohl zum Großteil der Zensurdebatte geschuldet, die der Film auslöste. Entblößte Brüste, Masturbation, Geschlechtsverkehr und die damit einhergehende Ekstase, all das war neu für das Film-Publikum im Jahr 1963. Und zum ersten Mal in dieser Expedition nach Skandalfilmen wird man wohl sagen können, die Anklage sei zeitgeschichtlich gesehen angemessen gewesen.

Denn weder in „Gummo“, „Inside“, „Der letzte Tango in Paris“, „Cruising“, „Hostel“ oder „Kids" waren die Aufrufe gegen die jeweiligen Filme angemessen, selbst nachdem man sie in einen temporalen Kontext gestellt hatte. Hier jedoch kommt man beinahe nicht umhin, sich in die Gesellschaft von vor fünfzig Jahren hineinzuversetzen. Ingmar Bergman zeigte hier schier Unzeigbares. Ein Artist verlieh der Schande und dem Schamvollen Bedeutung und Ästhetik. Vielleicht, so wird mir grade bewusst, ist das der springende Punkt, wenn es um die Einordnung des Filmes als letzten Teil von Bergmans (später so genannten) Glaubenstrilogie geht. Es geht bei dem Film um das Aufzeigen von Glauben und ja, auch ein wenig um die Provokation. Somit ist es wohl nur logisch, dass „Das Schweigen“ ein so großer Skandalerfolg wurde, denn ohne sein Publikum hätte der Film nicht funktioniert.

Aber dazu kam es glücklicherweise nicht, sodass der Film sein Publikum bekam und weltweit für Aufsehen sorgte, nicht zuletzt der Zensurdebatte wegen. Aber der Erfolg schien dem Film Recht zu geben, sodass in Schweden und Deutschland zwar gemeckert, aber nichts verändert wurde. Die Zensur der Freizügigkeit ist jedoch, obwohl es zunächst so scheinen mag, keine ausgestorbene Thematik. Im schillerndsten Filmland selbst wird Nacktheit mit hohen Altersfreigaben „bestraft“, was oft für Kopfschütteln sorgen mag. In Deutschland bekam „Das Schweigen“ zunächst keine Jugendfreigabe, heute ist das Werk ab 16 Jahren freigegeben. Und das aus gutem Grund, obwohl der eben jener sich über die Zeiten verändert haben sollte. Der Film ist nämlich durchaus schwer bekömmlich und braucht seine Zeit, um verarbeitet zu werden - das liegt jedoch nicht an den „erotischen“ Momenten (die hier ganz bewusst in Anführungszeichen gebannt werden), sondern an dem überbordenden Pessimismus.

Das beginnt schon während des Vorspanns, bzw. im Hauptmenü der DVD. Der Zuschauer ist dem steten, gehetzten Ticken einer Uhr ausgesetzt. Die Vergänglichkeit und die Dimension der Zeit, deren einzige Bedingung die Leere ist, werden von Anfang an deutlich gemacht. Gerade wenn man glaubt, dem ganzen entfliehen zu können, indem man auf die Play-Taste drückt, fängt das Ticken erneut an. Es ist ein erster Dämpfer, der ausgeteilt wird, viele weitere werden folgen. Denn Bergman nutzt die 90 Minuten gekonnt, um den Zuschauer langsam aber sicher platt zu drücken. Die klaustrophobisch engen Räumlichkeiten erst im Zugabteil, dann im Hotel, die spärliche (aber meisterhafte, verdammt nochmal großartige) Beleuchtung von Sven Nykvist (im Ernst, allein für die Bilder ist der Film eine Sichtung wert) und immer wieder diese Stille.

Das Schweigen ist, obwohl es eigentlich passiv geschieht, eine bewusste Form der Enthaltung, sei es aus besserem Wissen oder wider besserem Wissen. Nichts zu sagen kann viel bewirken, angenehm vereinen kann es nicht. Und das ist etwas, was den kleinen Jungen namens Johan verwirrt. Er bestaunt die nackten Füße seiner Mutter, und ist von ihrer Gebundenheit fasziniert, weil sie „einfach so“ den Körper stets begleiten. Johan ist Separation gewohnt, eine Distanz, sei sie durch eine Scheibe, eine Tür, einen Raum oder die emotionale Abgeschiedenheit seiner Mutter. Vor allem diese emotionale Kälte und scheinbar fehlende Empathie ist es, die die fiktive Welt in Bergmans Drama bestimmt. Der schwedische Regisseur macht deutlicher, dass menschlicher als die Harmonie nur der Konflikt ist.

Der Geschlechtsakt wird dabei von Ingmar Bergman nicht zum „Aufgeilen“ inszeniert, eine Deutung, die man Marcel Reich-Ranicki erstmal verzeihen muss, sondern als fast schon mystische aber wichtige Angelegenheit, als ein Ersatz der Kommunikation. Selbst der Sex, der stärkste Intimität verspricht, scheint hier anfangs nicht zu funktionieren. Anna sitzt im Theater während neben ihr zwei Menschen kopulieren und so weit es geht voneinander gestreckt wippen. Die Intimität kommt erst mit der Zeit in die sexuellen Inhalte, es ist beinahe, als würde Bergman sich der Brisanz der Bilder bewusst sein und sein Publikum langsam an das Sujet herantasten lassen. Zunächst sieht man nur ein Close-Up eines Gesichtes während der Masturbation, dann eine Brust und so weiter. Der Geschlechtsverkehr wird für Anna jedoch dann zur Befreiung aus der Gefühlskälte, aus dem Schweigen, aus dem eingerosteten Schicksal und der Müdigkeit der übergeordneten Mächte. Der Sex ist hier deutlich und graphisch, keine Frage, aber das nicht der Grafik wegen, sondern um auf die Einsamkeit, Verfahrenheit und Steife einer Gesellschaft aufmerksam zu machen, die gar nicht merkt, was sie leichtfertig verspielt.

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