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Buchclub #4: Das Wesen der Trauer und Barrieren, die man nicht überschreiten sollte

Souli

Von Souli in Buchclub #4: Friedhof der Kuscheltiere

Buchclub #4: Das Wesen der Trauer und Barrieren, die man nicht überschreiten sollte Bildnachweis: ||| © Heyne

„Die Ansicht, es gäbe irgendwelche Grenzen für das Grauen, das der menschliche Geist zu erfassen vermag, ist vermutlich irrig. Im Gegenteil: Es sieht so aus, als stellte sich, wenn die Dunkelheit tiefer und tiefer wird, ein exponentieller Effekt ein – die menschliche Erfahrung neigt, so ungern man es auch zugeben mag, in vieler Hinsicht zu der Vorstellung, dass, wenn der Albtraum schwarz genug ist, Grauen weiteres Grauen hervorbringt, ein zufälliges Unglück weitere, oft vorsätzliche Unglückliche zeugt, bis schließlich die Schwärze alles zudeckt. Und die erschreckendste Frage dürfte sein, wie viel Grauen der menschliche Geist zu ertragen vermag, ohne seine wache, offene, unnachgiebige Gesundheit einzubüßen.“

Jedem dürfte wohl das einsam in den Bergen Colorados gelegene Overlook Hotel aus The Shining ein Begriff sein, in dem Jack Torrance langsam, aber sicher dem Wahnsinn verfiel und mit dem Beil Jagd auf seine Familie gemacht hat. Genauso wie das mit einer Eimerladung Schweineblut besudelte Abschlusskleid, welches Carrie zu einem gnadenlosen Telepathie-Rache-Akt nötigte. Stephen King ist ein fester Bestandteil unserer Populärkultur – und die Insignien und Trademarks seiner Werke haben sich in unser kollektives Bewusstsein gefräst. Gemeinhin sind es jedoch nicht The Shining, Carrie oder gar Es, die genannt werden, wenn es darum geht, welcher Roman von Stephen King die wohl größten Wellen innerhalb der Literaturszene geschlagen hat. Es ist das im Jahre 1983 veröffentliche Buch Friedhof der Kuscheltiere, welches nicht nur als eines der erfolgreichsten überhaupt gilt, sondern auch tiefe, autobiographisch Gedanken bündelt, die Friedhof der Kuscheltiere erst zu dieser ganz und gar ergreifenden Erfahrung machen. Nicht zuletzt, weil diese Züge uns alle betreffen.

Wenn man so möchte, könnte man Friedhof der Kuscheltiere als ein Protokoll tiefschürfender Ängste bezeichnen, durch das hier ein unlösbares Band zwischen dem Leser und dem Autor geknüpft wird. Stephen King nämlich behandelt das wohl größte Mysterium des menschlichen Seins: Den Tod. Und noch schwerwiegender setzt er sich damit auseinander, auf welche Weise man sich mit dem Tod auseinandersetzen kann und wie irrational sich das Wesen der Trauer im Angesicht des Verlusts einer geliebten Person gestaltet. Im Mittelpunkt steht dabei die vierköpfige Familie Creed, die gerade erst in das beschauliche Ludlow in Maine gezogen ist, um nicht nur einen Neuanfang in der geruhsamen Provinz zu wagen, fernab dem Trubel der Großstadt, sondern zuvorderst, um in der Nähe von Louis' (das Oberhaupt der Familie) neuer Stelle als verantwortlicher Arzt an der Universität zu sein. King indes lässt schon frühzeitig keinen Zweifel daran aufkommen, dass das neue Heim kein Segen für die Familie darstellen wird, sondern einem urzeitigen Fluch gleichkommt, der alles in sich verschlingen wird.

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Der Tod, das Sterben, der Umgang damit – diese Punkte werden zur enigmatischen Konstante in Stephen Kings Erzählung. Die Schnellstraße, die Tag und Nacht gewaltig-donnernde Sattelschlepper über sich ergehen lassen muss, und der Pfad hinter dem Haus, der sich hinauf zum Haustier-Friethof (das ist bewusst so geschrieben) schlängelt und von dem eine suggestive Anziehungskraft ausgeht, werden zu zwei entscheidenden, sich gegenseitig verstrebenden Elementen, die Louis, seine Frau Rachel, sowie die beiden gemeinsamen Kinder, Ellie (5 Jahre alt) und Gage (ein Baby), voller Gräuel damit konfrontieren, dass es höhere Mächte gibt, die ihren Tribut von den Lebenden einfordern. Das Buch Friedhof der Kuscheltiere zeichnet sich, anders als die gleichnamige Verfilmung von Mary Lambert aus dem Jahre 1989, jedoch dadurch aus, dass es den Schrecken fast ausschließlich als subkutane Bedrohung begreift: Als eine diffuse Gefahr, die im Argen liegt, die unsichtbar ihre magnetischen Fühler ausstreckt und die Familie Creed, womöglich sogar ganz Ludlow, sukzessive in das Verderben lockt. Die Antwort auf die Frage nach dem 'Warum?', belässt King in Leerstellen ruhen.

Seine ausladend-versierte, ungemein immersive Schreibe, die uns die Figuren, ihre Empfindungen, die Situationen, die Handlungsorte erschreckend detailliert und fein-säuberlich struktuiert entgegenbringt, bestätigt Stephen King nicht nur als ausschmückend-eloquenten Wortakrobaten, sondern auch als einen Autoren, der sich weitreichend mit psychologischen Konditionen (natürlich auch mit den eigenen) befasst hat und den inneren Astronauten, der dort in den unendlichen Weiten des Verstandes treibt und einen unscheinbaren Strich in die ewige Schwärze zieht, nicht gänzlich ohne Faszination mit in die dunkelsten Ecken der menschlichen Seele begleitet. Friedhof der Kuscheltiere geht es nicht darum, tumb zu schockieren, wenngleich der Roman es immer wieder schafft, dem Leser einen beachtlichen Schauer über den Rücken zu scheuchen. Es geht ihm darum, aufzuzeigen, dass die Trauer etwas vollkommen natürliches und grundlegendes ist: Der Mensch muss sich seinem Schmerz hingeben, um die reinigende Kraft der Trauer zu erfahren – und sie so schließlich auch zu bewältigen. Selbstverständlich nimmt King dem Leser nicht die Angst vor dem Tod, das wäre vermessen, aber er geleitet ihn auf die steinige Straße der Akzeptanz, wenn er deutlich macht, dass es höhere Instanzen gibt, deren Wege nicht zu rationalisieren sind.

Dass viele Psychoanalytiker Stephen King mit einem herablassenden Naserümpfen begegnen, ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass King sich auch immer einen Genre-Rahmen bewahrt. Natürlich ist Friedhof der Kuscheltiere auch ein Horror-Roman, aber King ruht sich nicht darauf aus, den Zuschauer mit plumper Effekthascherei das Fürchten lehren zu wollen. Sein Horror ist ein Alltäglicher, er entwächst dem Bekannten, dem Normalen, und trifft den Leser dort, wo es ihn am meisten berührt: Die Zerrüttung der eigenen, (scheinbar) erschütterungsfesten Komfortzone jedenfalls ist in Friedhof der Kuscheltiere Gang und Gäbe. Mit Sicherheit ist dies auch der Grund, warum wir, blicken wir auf einen beliebigen schmalen Pfad, der sich direkt in das Dickicht windet, immer daran denken müssen, dass es Grenzen und Barrieren gibt, die man nicht überschreiten sollte. So wie der Windschlag aus getürmten Totholz am Haustier-Friethof, welcher nicht nur vor Bodennebel, Moor und saurer Erde schützt, sondern vor Dingen, die der menschliche Geist, dieser Computer mit einer schier unglaublichen Speicherkapazität, nicht verarbeiten kann. Doch wie heißt immer wieder im Roman: „Der Acker im Herzen eines Mannes ist steiniger, ein Mann bestellt ihn und lässt darauf wachsen, was er kann.“

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