Erwähnungen
Die Oscars: Eine Abrechnung
Von Souli in Die Oscars: Eine Abrechnung
am Freitag, 20 Februar 2015, 09:20 Uhr
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Es ist schon beachtlich, wie viel Einfluss die Oscars auf die Filmwahrnehmung von Menschen haben, die sich nun nicht unbeding tiefergehend mit der Materie auszeindersetzen. Deswegen ist es uns ein brennendes Anliegen, passend zur bevorstehenden Oscar-Verleihung, einige Klischees aufzugreifen, um sie vielleicht etwas zu neutralisieren, vielleicht aber auch, um sich einmal den Frust von der Seele zu schreiben. Souli und Stu wünschen euch viel Spaß beim Lesen.
Gebt dem Leonardo DiCaprio endlich einen Oscar!
Ja,Leonardo DiCaprio ist ein großartiger Schauspieler, immer gewesen, aber dieses penetrante Gebettel, ihm doch endlich einen Oscar an den Kopf zu schleudern, wird seinem Ethos als Künstler nicht gerecht. Man ist inzwischen wirklich gewillt, ihm die Trophäe einfach unterzujubeln, aber nur deswegen, damit jenes Gejammer von den äußeren Rängen endlich verstummt und der Mann sich nicht in jedem Interview und von jedem Medienportal sagen lassen muss, dass er ja noch gar keinen Oscar gewonnen hat – Skandal! Im Endeffekt sollte es DiCaprio egal sein, wie viele Auszeichnungen er auf den heimischen Kaminsims positionieren kann, denn ein echter Schauspieler agiert aus Passion, nicht aus dem Wunsch, Medaillen an die Brust getackert zu bekommen. Im Übrigen hätte DiCaprio den Oscar in seiner Karriere nur zweimal wirklich verdient gehabt: Für seine Darstellung in „Aviator“ und ganz, ganz, ganz besonders für die in „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“. Und jetzt kommt endlich mal wieder runter. Irgendwann wird es schon noch klappen.
Der Oscar ist kein Qualitätsmerkmal
Fälschlicherweise wird in der breiten Öffentlichkeit immer wieder angenommen, der Academy Award dürfe sich als handfestes Qualitätsmerkmal verbürgen lassen. Natürlich ist dem nicht so. Ein Oscar mag etwas Besonderes sein, etwas, was man sich gerne unter dem tosenden Applaus seiner Kollegen in die Hand drücken lässt – Aber sagt er letztlich wirklich etwas über meine Arbeit, meine künstlerische Vision, meine Leidenschaft aus? Nein, mit Sicherheit nicht, man muss sich – sieht man sich die Bewertungsmaßstäbe an und die Vertreter der jeweiligen Kategorien mal an – als Oscar-Nominierter wohl sogar noch Gedanken darum machen, ob man sich nicht in etwas zu konservativen, zu biedere Bahnen gewagt hat, dass einem diese Auszeichnungen in den nächsten Tagen womöglich gereicht wird. Im Output eines Filmschaffenden sagt der Oscars nichts darüber aus, was man im Leben kreiert hat, es ist nur nett-glänzendes Beiwerk, eine Bestandsaufnahme, das man in einem bestimmten Jahr das Glück hatte, entsprechenden Anklang von der Jury zu erfahren (oder einfach die Willkür auf seiner Seite hatte, inzwischen gucken sich die Pfeifen das Filmmaterial ja nicht mehr zwangsläufig an).
Der Oscar rettet deine Karriere - Nicht!
Der Oscar ist kein Garant dafür, dass deine Karriere bis in alle Ewigkeit wie von selber laufen wird: Nur weiß du einen Oscar in der Tasche hast, heißt es eben nicht automatisch, dass der absolute Shit bist. Nein, manchmal geht es sogar so weit, dass dir diese Auszeichnung die Luft zum Atmen nimmt und deinem beruflichen Werdegang einen klobigen Stock zwischen die Beine werfen. Denken wir da nur einmal an Cuba Gooding Jr., der inzwischen im in Rumänien produzierten Direct-to-DVD-Sumpf herumlungert oder auch Halle Berry, die für „Monsters Ball“ zwar unverständlicherweise auszeichnet wurde, heutzutage aber keinen Peso mehr von Interesse scheint – Who the fuck is Halle Berry?! Und dann wäre da natürlich noch Adrien Brody, hervorragend von Meisterregisseur Roman Polanskizur Höchstform gepeitscht, den Goldjungen abgestaubt und dann immer tiefer abgestürzt, bis er sich und seine Reputation dann unter der senilen Ägide von Dario Argento komplett vertrashen durfte.
Kontroverse? Nein, danke!
Die Oscar-Verleihung ist eine schillernde Gala, bei der es vor allem um Harmonie und Schulterklopfen geht. Selten wird wirklich ein Risiko eingegangen und sich getraut, über den Tellerrand zu blicken, um vielleicht auch mal einem Werk die Ehre zu erweisen, dass der breiten Masse nicht unbedingt so schmackhaft sein dürfte. Es ist da ja manchmal schon verwunderlich, dass eine markerschütternde Dokumentation wie Joshua Oppenheimers„Act of Killing“überhaupt eine Nominierung erfahren hat, den Mut, diesen von unendlicher Relevanz signierten Film aber auch mit dem Oscar zu honorieren, geht der Academy dann doch wieder ab. Genau wie man es sich nicht leisten konnte, „Brokeback Mountain“seiner Zeit als Besten Film auszuzeichnen, sondern den anbiedernden „L.A. Crash“ schnell den Preis zuschob. Bei dieser Oscar-Verleihung ist beispielsweise Jake Gyllenhaalunter den Tisch gefallen, der in „Nightcrawler“ einen so ungreifbaren Charakter verkörpert hat, dass sich das prüde Amerika wohl jetzt noch die Bremsspuren aus dem Feinripp waschen muss. Wie gesagt: Kontroversen? Bloß nicht, nur im Ansatz, alibimäßig, der Oscar mag es nur zärtlich.
Jung, gutaussehend, behindert
Wie heißt es in„Tropic Thunder“so schön: „Never go full retard“. Grob übersetzt heißt es so viel wie „Mache niemals auf vollbehindert“. Das sieht die Academy meist etwas anders. Rollen mit Handicap gefallen der Oscar-Jury nämlich ganz gut. Die Liste von Darstellern die eine Nominierung erhalten haben, weil sie einen Behinderten spielten ist durchaus lang. Wir sind auch immer wieder davon beeindruckt, wenn ein Darsteller/in sich dieser Aufgabe stellt. Aber nur weil ein Darsteller eine Person abseits der Norm spielt, heißt es nicht, dass er besser ist als andere. Noch schlimmer: Viele dieser Filme und Darstellungen zielen auf das Mitleid des Publikums ab. Eine überaus billiges wie – für Leute mit Behinderung - erniedrigendes Mittel um Emotion zu schüren. Da ist es mehr Arbeit nuanciert zu spielen, um so einen Charakter zu formen. Doch immer wieder wird mit dem Holzhammer propagiert, der Darsteller eines Behinderten, hätte den Oscars mehr verdient als seine Kollegen.
Nur noch öde Selbstbeweihräucherung
Die Academy Awards, das ist vor allem der rote Teppich. Der Eindruck, ,dass es den Senderanstalten eigentlich mehr darum geht welches Kleider welcher Promi zum Event trägt und ob er darin zu fett, zu dünn, zu alt oder vielleicht doch ganz hinreißend aussieht. Als wäre das nicht schon öde genug, plagt sich die eigentliche Verleihung dann auch mit Überlänge herum, inklusiver stetiger Werbepausen. Nach einem meist wirklich sehr amüsanten wie kurzweiligen Opening, in dem auch gerne einmal die satirische Keule ausgepackt wird, folgt meist das stumpfe Abarbeiten der Preisübergabe. Das ist alles sehr glamourös aber weitestgehend auch verdammt einseitig und langweilig.
Meryl Streep - Das Academy-Maskottchen
Wikipedia führt eine eigene Seite für die Auszeichnungen sowie Nominierungen, die Meryl Streep im Laufe ihrer Karriere gesammelt hat. Gut, machen wir uns nichts vor und sehen den Tatsachen ins Auge: die Streep ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet und liefert immer wieder großartige, darstellerische Leistungen ab. Aber dass sie scheinbar automatisch für jede größere Rolle eine Nominierung erhält, hat mittlerweile nichts mehr mit Talent, sondern mit Gewohnheit zu tun. Warum Streep für„Into the Woods“ nominiert wurde? Keine Ahnung. Aber bedauerlicherweise belegt sie damit einen Platz für eine andere Darstellerin. Eine, die vielleicht einen Oscar mehr verdient hätte als sie. Nichts gegen Meryl Streep, aber die Oscars brauchen nun wirklich kein Maskottchen aus Fleisch und Blut.
Gott, die Familie und das Land
„First I want to thank God“. Ja, dieses Dankesreden-Klischee ist so alt wie die Oscars selbst, findet aber immer noch Verwendung. Kein Problem, jeder sollte sich so freuen wie er will, doch wo sind sie nur geblieben, die wirklich menschlichen Dankesreden? Als Cuba Gooding Jr. seinen Oscar für „Jerry Maguire – Spiele des Lebens“erhielt, ließ er seine Freude mit einem nicht enden wollenden Schwall aus „Thank you“ freiem Lauf. Immer wieder gibt es Sieger, die auf Etikette pfeifen und ihr Ding durchziehen, doch meist wirken die Dankesreden dann doch zu starr und protokolliert. Dass die Academy den Gewinnern dazu nur wenige Augenblicke zur Freude lässt - bis die Musik einsetzt und sie von der Bühne „abtransportiert“ werden -, macht aus der Verleihung viel zu oft ein Prozedere ohne echte Gefühle. Schade. Dass die Preisträger fürs Lebenswerk dazu noch ausgesondert ausgezeichnet werden, wirkt ebenfalls nicht gerade positiv.
Ach, der hat einen Oscar gewonnen?
Ohne es googeln: Welcher Film gewann die Auszeichnung als bester Film im Jahre 2010? Es war der herausragende „The Hurt Locker“ von Kathryn Bigelow. Nur weil ein Film einen Oscar gewinnt, macht ihn das nicht unsterblich. Immer wieder wird behauptet, ein Oscar sei es, der einen Film in die Annalen der Filmgeschichte bringt. Humbug! Die Liste von unsterblichen Klassikern die keinen Oscar als bester Film gewannen, ist wesentlich länger als die Liste der Gewinner. Selbstverständlich ist ein Oscar eine große Ehrerbietung, doch letztlich wird er von einer relativ anonymen Academy verliehen. Es sind aber die Zuschauer und ihre Liebe zum jeweiligen Werk, die ein Film unsterblich macht und es auf den cineastischen Olymp hieven. Braucht ein guter Film also einen Oscar? Vielleicht braucht er ihn noch viel weniger als ein schlechter.
Und? Welche Oscar-Klischees und fälschliche Fakten regen euch in Bezug auf die Oscars so richtig auf?
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