Von Sportello745 in Filmfest Hamburg 2019: Eindrücke und Einblicke
am Dienstag, 08 Oktober 2019, 17:35 Uhr
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Bildnachweis: Beanpole, Wild Bunch
Der Slogan des Festivals „Tauch ein in fremde Welten“ wirkt etwas befremdlich. Zum einen schwingt in ihm der Eindruck mit, Kino sei ein Produkt reiner Fantasie, zum anderen sind die Art von Filmen, die generell auf Festivals eingeladen werden, oftmals an einer reinen Fiktionalisierung weniger interessiert. Viele dieser Filme sind stark in der Realität verankert und verhandeln die Verarbeitung historischer Vergangenheit, welche immer schwerer in ein teleologisches Konzept passt. Ein Regisseur, der scheinbar sein gesamtes Werk der Erhaltung und der Erinnerung der Vergangenheit gewidmet hat ist Pedro Costa. Seinen Filmen widmet der portugiesischen Regisseur dem Slum Fontainhas in Lissabon. Die Lebensweisen der Einwohner wurden vergessen, ihre Stimmen sind still. Nun inszeniert Costa sie als geisterhafte Erscheinungen in Gewand des magischen Realismus. Der titelgebenden Frau Vitalina Varela seines neuen Filmes ist dessen Perspektive gewidmet. Sie streift durch die dunklen Gassen des Viertels und sucht Antworten auf den Verbleib ihres verstorbenen Mannes. Costas Film wirkt wie ein Requiem auf alles, was vergessen und hinterlassen wurde und enthüllt seine Gestalten in meditativer Langsamkeit. Das Problem an diesem Ansatz ist leider, dass Costa seinem Vorhaben wenig hinzuzufügen hat. Irgendwann badet er in seinem eigenen Elend und dürfte selbst hartgesottenen Verteidigern der neuen Bewegung des „Slow Cinema“ zu schaffen machen. Man wünscht sich, Costa würde eines Tages zu der Radikalität seines In Vandas Room zurückkehren.
Weniger vergessen sind die Geister der Vergangheit in Kantemir BalagovsBeanpole, welcher kurz nach dem Ende des Krieges 1945 in Leningrad spielt. Die junge, groß gewachsene, ehemalige Soldatin Iya leidet an posttraumatischen Störungen. Immer öfter verfällt sie in einen katatonischen Zustand, als würde ihr Körper die Realität abblocken. Ihre Freundin Masha ist wesentlich lebenshungriger: Für sie muss das Leben weitergehen, egal wie viel verloren gegangen ist. Balagovs Film klingt zwar sehr nach Historien-Streifen, der Krieg und dessen Auswirkungen sind aber letztendlich Randerscheinungen, welche das innere Trauma der beiden Frauen nachzeichnet. Beanpole gestaltet sich als ein nahezu meisterhaftes Psychogramm über den Verbleib von beschädigten Seelen, das zwischen Realismus und schwarzem Humor sensibel balanciert. Ein Werk von subtiler Härte und grausamer Zärtlichkeit, in dem ein Kuss sowohl die Unschuld bewahrt, wie er zutiefst erschüttert. Man kann dem gerade einmal 28 Jahre alten Filmemacher nicht oft genug hinterherrufen, dass er am Anfang einer großen Karriere steht.