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Flimmerkiste: Pornographie und Sex im Kino

von Sascha Wuttke

Neuerdings etablierte sich im Independent-Bereich Pornographie als Stilmittel. Im erlauchten Kreis der Theatergrüppchen wird Nacktheit geradezu zelebriert, es wird metaphisiert und an Kleidung gespart, bis sich die Balken biegen. Das Kino ist jedoch weit biederer, als es dem Innovationsmeier lieb ist. Zuneigungen sind lediglich Kussszenen vorbehalten, Fortpflanzungstrieb wird in harte Schnitte eingeengt und erst mit dem dicken Bauch verdeutlicht. Und wenn ein ganzes Leben von sexuellen Trieben gesteuert wird und nichts mit dem Hart-arbeiten-gehen und Geldausgeben für die neue Inneneinrichtung zu tun hat, wird man schnell Moralist. Sex soll eben immer noch die "schönste Nebensache der Welt" bleiben, als "nur" beiläufiges Mitbringsel in einer Beziehung mitlaufen und vielleicht noch dem religiös motivierten Zweck untergeordnet werden.

Und wenn eine Nation wie die USA die flächendeckende Hand über die Entscheidungen der plastischen Darstellung drüberhält, wird sich an diesem Weltbild auch nichts ändern. Das kann man gut oder schlecht finden, aber man darf sich dabei auch fragen, ob man derbe zugeknöpft oder gleich ganz freizügig zu Werke gehen soll - die Wahrheit sehe ich wieder irgendwo dazwischen. Man darf frei sein, aber bitte auch verantwortungsvoll und nicht ohne die Zügel aus der Hand zu geben. Das hat nichts mit der Moralkeule zu tun, denn die sehen wir über amerikanischen Köpfen umherschweifen - das Ergebnis ist die umsatzreichste Pornoindustrie auf der Welt und gleichzeitig der größte Selbstinszenierungssmodus 2.0 in POV-Manier und katalogisiertem Bibliothekscharakter; von kleinen bis großen Titten, behaart oder rasiert, schwarz, weiß, gelb, um nur mal wenige zu nennen.

Auch das Kino hat die Zeichen der Zeit erkannt und versucht nun, Lebensweisheiten in eindeutige Bilder zu verpacken. Leider fehlt ihnen oft ein übergeordnetes Thema. Hier wäre beispielsweise "9 Songs" zu nennen, welcher den Sex in einen Lebensabschnitt eines Forschers einrollt, der in der Antarktis den kältebedingten Rückzug seines Penisses mit Erinnerungen an seine Erlebnisse mit einer Austauschstudentin zu kanalisieren versucht. Doch anstatt viel Gefühl und Hintergrund einzuflechten, verkommt der Film zum sachlich angefärbten Anschauungsunterricht sexueller Biederspielchen. Eine andere Facette will "Baise moi - Fick mich!" begreiflich machen: Brachialfeminismus. Gewalt und Sex. Hier hätte man ein Vergewaltigungsthema prima in explizite Aufnahmen verpacken können, und doch bleibt einem nur der reine Akt als Ausdruck von Ausflüchten hängen. Anstatt bei der Protagonistin zu bleiben, wie sie leidet und wehrhaft wird, muss ein Club für Gruppengepimper herhalten - die Aussage dahinter? Angeblich als visuelles Konstrukt männlicher Gewalt, was die Damen aber eher mit lüsternem Gestöhne versuchen auszudrücken denn mit Schreien oder Abwehrhandlungen. Von psychologischen Nachwehen ist da jedenfalls nichts zu spüren.

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