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Interview mit Regisseurin Céline Sciamma

Sportello745

Von Sportello745 in Interview mit Regisseurin Céline Sciamma

Interview mit Regisseurin Céline Sciamma Bildnachweis: © Alamode Film

Ihr neuster Film interessiert sich sehr für Wahrnehmung, wie wir Menschen wahrnehmen und daraus etwas erschaffen. Was verbindet ihrer Meinung nach Wahrnehmung mit dem Erschaffen von Kunst? 

Ich versuche Erfahrungen für das Publikum zu erschaffen. In meinen Filmen ging es immer um jemanden, der jemand anderen beobachten und wir als Publikum beobachten dann diese Person, die jemanden beobachtet. Eine Zirkulation der Blicke. Kino sollte sich nicht nur für Körper interessieren, deswegen versuche ich, insbesondere mit diesem Film, die Zuschauer in einen sehr aktiven Blick zu versetzten. Ich weiß nicht inwiefern das Ihre Frage beantwortet, aber ich konstruiere Erfahrungen und deswegen ist es experimentell, weil ich immer versuche die eigene Sprache des Filmes als einzigartig zu gestalten. 

In ihrem Debütfilm Water Lilies kontrastieren Sie die unkontrollierbaren, erwachenden Hormone der Protagonistin mit einem perfekt synchronisierten Schwimmteam. Auf welche Art charakterisiert die externe Landschaft die inneren Gefühle in ihrem neuen Film? 

In Water Lilies ging es darum was an der Oberfläche liegt und was darunter verborgen bleibt. Ich schätze, selbst bei dem synchronisierten Schwimmen ging es weniger um Kontrolle und mehr um das was man sieht und die Arbeit, die man darunter leisten muss. Ich denke nicht das ich mich sehr auf Symbolismus verlasse und man fragt mich oft nach der Bedeutung von,  zum Beispiel,  Farben. Ich denke nicht wirklich so, ich versuche eher bestimmte Dinge zu verkörpern und versuche weniger metaphorisch zu sein. Aber in diesem Film liegt die Spannung vielleicht zwischen Liebe und Kunst und Schönheit. Landschaft passt in diese Spannung sehr gut hinein. 

Haben die Gemälde, zu denen Sie Recherche betrieben haben, die visuelle Sprache ihres Filmes beeinflusst und, wenn ja, welche Gemälde insbesondere? 

Ja, haben sie. Es waren besonders die Selbstporträts von weiblichen Malerinnen, weil die Art und Weise dieser Bilder völlig verschieden war von dem, was man erwarten würde. Es gab ein bestimmtes Gemälde, welches tatsächlich nicht aus dem 18ten Jahrhundert, sondern aus dem 17ten Jahrhundert stammte, von einer Frau namens Judith Leyster, einer Dänin. Ihr Schaffen wurde ihrem Ehemann zugeschrieben. Auf dem Bild sieht man sie beim Malen, sie lächelt, man sieht ihre Zähne. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Es half mir dabei, mutig zu sein, was bedeutet, uns dazu zu bringen, etwas Neues zu erfinden und nicht davor zurückzuschrecken, unkonventionell zu sein. Das ist genau die Form von weiblicher Beteiligung in der Kunstgeschichte: Wenn Virginia Woolf schreibt, erfindet sie Literatur neu, sie revolutioniert sie. Wenn Chantal AkermanJeanne Dielman dreht, erschafft sie eine Revolution für das Kino. Die Stimmen von Frauen sind nicht nur auf „Hey, wir haben unsere kleinen Geschichten zu erzählen“ beschränkt, es geht immer darum, Kunst neu zu erfinden. Es geht darum etwas Neues zu erschaffen, statt etwas Gleichem. 

Die Figuren Heloise und Marianne sind sich sehr unterschiedlich. Heloise kommt aus einer sehr traditionellen Familie, sie wird gegen ihren Willen verheiratet, während Marianne deutlich selbstständiger erscheint. Wie würden Sie sie Unterschiede zwischen den beiden genau charakterisieren? 

Der Unterschied ist das Marianne über ökonomische Autonomie verfügt. Sie arbeitet, sie verdient ihr eigenes Geld und deswegen hat sie die Freiheit, ihr eigenes Leben zu wählen. Das ist noch heute der große Unterschied zwischen Frauen, ob man ökonomische Autonomie hat oder nicht. Das ist die einzige Hierarchie zwischen den beiden Frauen, ansonsten gibt es keine, darauf habe ich Wert gelegt. Heloise gehört zur Aristokratie, deswegen ist sie zwar auf der sozialen Leiter höher als Marianne, aber es gibt ihr kein Recht auf ein eigenes Leben. Ansonsten gibt es keine intellektuelle Dominanz zwischen den beiden und wir spielen auch nicht mit einem Konflikt der sozialen Hierarchie. Der einzige Unterschied ist eben der, dass wenn man sein eigenes Geld verdient, man für sich selbst entscheiden kann, und das war etwas Besonderes. 

Nachdem die Mutter die Insel verlassen hat sind die beiden Frauen mehr oder weniger allein miteinander. Jedoch nicht völlig. Eine dritte Figur bleibt zurück, nämlich Sophie, die Haushälterin. Welchen Zweck sehen Sie in diesem Charakter? 

Ich wollte auch über Freundschaft und Schwesternschaft sprechen. Auch darüber das, wenn diese Frauen auf sich gestellt sind, sich nicht mehr in einem alltäglichen Kontext bewegen, wenn sie keinem gesellschaftlichen Blick mehr obliegen, es keine sozialen Hierarchien zwischen ihnen mehr gibt. So eine Schwesternschaft gab es zwischen Frauen damals. Ich wollte diese Art von Solidarität porträtieren. Außerdem wollte ich nicht, dass die Haushälterin am Ende nur Haushälterin ist. Ich wollte den Charakter nicht in dieser Position. Man sieht sie nicht mal wirklich mit der Gräfin. Eigentlich sollte so ein Charakter permanent Sachen umhertragen und Teil des Mobiliars des Hauses ein. Ich wollte sie nicht in dieser Diener-Rolle, wie man sie besonders aus dem damaligen Theater kannte, bei denen man nie sicher ist, ob die Dienerin irgendetwas weiß, ob sie jemanden belauscht, was sie von der Liebesgeschichte hält und so weiter. Ich wollte diese Konventionen loswerden und stattdessen über Freundschaft sprechen. Sie hat ihre eigene Bestimmung, ihr eigenes Begehren. So konnte ich über eine Gemeinschaft von Frauen sprechen, als auch über deren privates Leben, wie etwa mit der Abtreibungsszene. Es ging mir auch um Freundschaft innerhalb einer Liebesgeschichte, zwischen den Liebenden. Das Trio half dabei. 

Wann hat Marianne, ihrer Meinung nach, das titelgebende Gemälde „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ erschaffen, kurz nach der Begegnung auf der Insel oder erst viele Jahre später?

Ich denke sie hat es erst viele Jahre später gemalt. Das ist ihre Erinnerung. Als ich das Gemälde habe anfertigen lassen wollte ich ursprünglich zwanzig Rahmen, vielleicht sogar das Mariannes gesamtes Schaffen auf diesem Moment basiert. Eine Art „übliche Verdächtigen“-Situation, wo jeder noch einmal auftaucht. Aber dieser Moment ist definitiv die Matrix von dem, was sie als nächstes tun wird und ich denke es entstand erst Jahre später. Das Gemälde sollte eigentlich unfertig sein. Kurz bevor wir begannen zu filmen sagten wir uns dann aber, dass es vollendet sein muss. Und jetzt steht es in meiner Wohnung. 

Am Ende des Filmes ist die Liebesgeschichte zwischen den beiden „vollendet“. Auf der einen Seite ist das Ende sehr bittersüß, weil die Liebe auf einem Gemälde verewigt wurde. Aber es ist auch sehr traurig, wir sehen Heloise weinen. Es fühlte sich so an als ob dieses großartige Kunstwerk, welches die Liebe der beiden Frauen erzählt, niemals ausgetauscht werden kann gegen die Liebe, die verloren ging. Was sind ihre Gedanken? 

Wir haben versucht eine Dynamik zu entfachen, bei der es nicht darum geht, dass das Ende einer Liebesgeschichte bedeutet, entweder die Ewigkeit miteinander zu verbringen oder zu sterben. Es ging darum, sich von dem Gefühl zu trennen, das der Sieg der Liebe ein gegenseitiger Besitz wäre. Ihre Liebe füreinander hat sie neugierig auf die Liebe und auf Kunst gemacht. Die letzte Einstellung spricht für mich an, wie nahe uns Kunst geht und wie die Liebe uns emotionaler gegenüber Schönheit macht. Der Film spielt auch nicht mit der Dynamik zwischen „Ist die Liebe möglich?“ und „Ist die Liebe unmöglich?“. Natürlich ist sie unmöglich, deswegen hat mich die Idee einer ewigen Liebe auch nicht interessiert. Natürlich ist das unsagbar traurig, aber es hat seine Momente des Lichts. Am Ende fühlt Heloise die Musik, wie sie sie niemals gefühlt hätte, wenn sie nicht geliebt hätte. Liebe als Kuration für die Neugier auf die Zukunft, auf die Kunst, auf die Schönheit. Das ist, für mich, eine sehr positive Dynamik, auch wenn sie, natürlich, herzzerreißend ist, was sie aber auch sein sollte. Am Ende sind beide Frauen offener und das ist eine Dynamik die ich als Emanzipation liebe. Und es ist positiv, davon zu erzählen.

Porträt einer jungen Frau in Flammen startet am 31sten Oktober 2019 in den deutschen Kinos. 

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