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Krzysztof Kieślowski - Drei Farben Edition - Kritik
Von terminator in Krzysztof Kieślowski - Drei Farben Edition - Kritik
am Dienstag, 26 November 2024, 21:11 Uhr
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Krzysztof Kieślowski gehörte in den 90er Jahren zu den einflussreichsten europäischen Regisseuren. Der polnische Regisseur konnte bereits zuvor einige Erfolge feiern und erregte vor allem mit dem zehnteiligen Filmzyklus Dekalog, in dem er sich den Zehn Geboten widmet, größere Aufmerksamkeit. Tatsächlich sollte ihm der internationale Durchbruch aber erst mit seinem letzten Gesamtwerk, der Drei-Farben-Trilogie gelingen. Kieślowski nutzt für seine drei Filme nicht nur die Farben der französischen Nationalflagge als Symbol, sondern ordnete jedem der Filme einen Bestandteil des aus der Französischen Revolution stammenden Wahlspruch Liberté, Égalité, Fraternité zu, der noch heute das Leitmotiv Frankreichs ist. Die mit zahlreichen Preisen und Nominierungen überhäufte Trilogie (u.a. 3 Oscarnominierungen) wurde durch Studiocanal am 4. Juli 2024 in einer restaurierten Fassung in 4K neu veröffentlicht. Neben den drei Filmen der Trilogie enthält die Edition noch das Drama Die zwei Leben der Veronika. Nachfolgend werfen wir einen kurzen Blick auf die einzelnen Filme:
Drei Farben – Blau (1993)
Julie (Juliette Binoche, Chocolat) überlebt als einzige einen schweren Verkehrsunfall, während ihre Tochter und ihr Mann, ein berühmter Komponist, dabei sterben. Danach setzt sie alles daran, die Erinnerung zu verdrängen und woanders einen Neustart zu machen. Sie zieht nach Paris, wo sie nahezu kontaktlos lebt. Ihren Familienlandsitz will sie verkaufen, das Werk ihres Mannes vernichtet sie. Doch trotz allem gelingt es Julie nicht, sich ihrer Vergangenheit zu entledigen. Um den Schmerz zu lindern, muss sie schließlich einen anderen Weg wählen: Sie kontaktiert einen alten Freund (Benoît Régent, Um Mitternacht) und fängt an, das Werk ihres Mannes fortzusetzen …
Der Auftakt der Trilogie trägt nicht nur den Namen Blau, sondern steht zugleich für die Freiheit. Das erscheint auf den ersten Blick etwas befremdlich, denn Julie muss gleich zu Beginn durch den Tod von Ehemann und Tochter einen großen Verlust verarbeiten. Trauer und Freiheit sind nicht unbedingt Gefühle und Werte, die man miteinander in Verbindung bringt und doch schafft es Kieślowski beides im Film zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Mit ihrem Neustart in Paris versucht Julie nicht nur ihr früheres Leben hinter sich zu lassen und den Verlust zu verdrängen, sondern es wirkt zunächst wie eine Befreiung, ein Abstreifen der Fesseln der Vergangenheit. Doch genau diese Vergangenheit holt sie immer wieder ein, sei es durch gemeinsame Freunde oder andere Begegnungen, die sie an ihr einstiges Leben erinnern. Es ist ein langer Weg und Kieślowski zeigt, dass allein die Flucht kein Ausweg ist, um wirklich frei zu sein. Juliette Binoche ist wahrlich die perfekte Wahl für die Rolle, denn sie kann die Bandbreite der Emotionen und insbesondere den Schmerz und die Trauer auf die Leinwand übertragen. Passend zum Filmtitel findet sich die namensgebende Farbe ebenfalls als Leitmotiv im Film, mal dank eines Filters, mal durch kleinere oder größere Details, wie ein Schwimmbad oder ein Kleidungsstück. Drei Farben - Blau ist ein gelungener Auftakt der Trilogie.
Drei Farben - Weiß (1994)
Der Pole Karol (Zbigniew Zamachowski, 23 - Nichts ist so wie es scheint) und seine französische Frau Dominique (Julie Delpy, Before Sunrise) stehen vor dem Scheidungsrichter. Dominique behauptet, die Ehe sei nicht vollzogen worden. Karol stimmt zu. So werden sie geschieden, und Karol verliert alles, was er besaß: die Liebe, seine Frau und seinen Friseursalon, in dem all seine Ersparnisse stecken. Jetzt steht er da: ohne Geld, ohne Papiere, erniedrigt und verletzt - und in den Augen der Polizei ein Brandstifter. In einem Koffer versteckt, kehrt Karol nach Polen zurück. Er hat nur ein Ziel, reich zu werden und sich an seiner Frau zu rächen. Doch dann ist das Glück zum ersten Mal auf seiner Seite. Er gewinnt etwas, woran er schon lange nicht mehr geglaubt hatte...
Mit Drei Farben - Weiß begibt sich Kieślowski zurück in sein Heimatland Polen. Doch ihren Anfang nimmt die Geschichte in Frankreich. Als Motiv wählte Kieślowski nicht nur die Farbe Weiß, sondern zugleich die Gleichheit (Égalité). Die Farbe Weiß steht gemeinhin für Reinheit und Unschuld und dazu passt letztendlich auch die Gleichheit und die Ausgeglichenheit und damit der Frieden, denn wo alles gleich ist, gibt es keinen Streit mehr. Oder doch? Kieślowski liefert mit dem zweiten Teil der Trilogie ein Werk ab, das der ausgesprochenen Symbolik so gar nicht entspricht. Drei Farben - Weiß ist das komplette Gegenteil, ein wahrer Widerspruch, ein filmisches Oxymoron, wenn man so will. Karol und Dominique sind ein absolut ungleiches Paar, das sich gleich zu Beginn des Films scheiden lässt und man erkennt schnell, dass die Ehe wohl weniger harmonisch war. Dominique ist die Dominante, die das französische Justizsystem auszunutzen weiß. Die Gleichheit vor dem Gesetz scheint es ebenso wenig zu geben, denn Karol steht am Ende des Prozesses vor dem Nichts und Kieślowski erweckt den Eindruck, als habe dies auch mit seiner polnischen Herkunft zu tun. Als ob dies für Dominique noch nicht genug ist, demütigt sie Karol weiter und nimmt ihm das letzte bisschen Würde. Doch in Polen wendet sich das Blatt für ihn, als er unerwartet zu Geld kommt und durch Zufall das Geschäft seines Lebens macht, in einem Land, in dem Anfang der 90er Jahre eine wahre Goldgräberstimmung herrscht, als der Kapitalismus Einzug hält. Auch hier findet man eher den Widerspruch zur symbolisierten Gleichheit. Polen, ein Land, das gerade den Kommunismus bzw. Sozialismus überwunden hat, also ein System, in dem nach der Theorie alle Menschen wirklich gleich sein sollen, entwickelt sich zum direkten Gegenteil und Karol weiß genau hieraus Kapital zu schlagen. Doch die Demütigung durch Dominique lässt ihn nicht los und so schmiedet er einen perfiden Plan. Kieślowskis Film ist ein Paradebeispiel für eine toxische Beziehung eines Paares, dem es nicht gelingt das Gleichgewicht in ihrer Beziehung zu finden und das sich damit gegenseitig in den Abgrund zieht.
Drei Farben - Rot (1994)
Der Zufall führt Valentine (Irène Jacob, Der geheime Garten) eines Abends zu einem verbitterten alten Mann, dessen Hund sie gerade überfahren hat. An dem verletzten Tier ist der pensionierte Richter (Jean-Louis Trintignant, Mitternachtsparty) jedoch nicht besonders interessiert. Er beschäftigt sich lieber damit, die Telefongespräche seiner Nachbarn abzuhören und mitzuschneiden. Valentine ist entsetzt. Auf geheimnisvolle Weise aber fühlt sie sich zu dem alten Zyniker hingezogen. Die sonderbare Beziehung zwischen dem Richter und Valentine macht neue Zufälle möglich. In unmittelbarer Nähe wohnt Auguste (Jean-Pierre Lorit, Grenzenlos). Er hat sein Jurastudium beendet und steckt mitten im Richterexamen. Die Wege von Auguste und Valentine kreuzen sich oft, fast täglich. Dennoch haben sie einander nie gesehen und ahnen nichts voneinander.
Der dritte Teil der Trilogie steht ganz klar im Zeichen der Farbe Rot. Noch mehr als in den anderen Filmen dominiert die namensgebende Farbe das Szenenbild und noch deutlicher steht die Farbe in dem Film für die ihr allgemein zugedachte Symbolik der Liebe. Auch wenn die Liebe in allen Teilen der Trilogie thematisiert wird, so steht sie hier viel mehr im Mittelpunkt der Handlung. Es geht um die Suche nach der wahren Liebe und den Verlust der Liebe, Liebe zwischen zwei Personen und Liebe zum Leben. Passend hierzu steht der Film für das noch verbliebene letzte Ideal der Französischen Revolution: die Brüderlichkeit. Valentine lebt dieses Ideal und beweist immer wieder durch kleine Aktionen, wie einfach doch Toleranz, Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt gelebt werden können und sei es nur dadurch einer alten Frau zu helfen, eine Flasche in den Altglascontainer zu werfen. Hier schließt sich der Kreis, denn gerade diese ältere Dame taucht als kleine Randfigur in allen drei Teilen auf. Es sind generell die Kleinigkeiten, die Kieślowski in seinen Filmen versteckt, die es zu entdecken gibt und die das Gesamtwerk der Trilogie abrunden und das große Ganze zum Vorschein bringen. Doch die Brüderlichkeit in Rot hat mit dem verbitterten, pensionierten Richter ein Gegenstück gefunden. Ein gefühlskalter, einsamer Mann, dessen einzige Freude darin besteht, die Telefongespräche abzuhören und, der sich ansonsten nicht für seine Mitmenschen interessiert, ist das absolute Gegenteil der offenherzigen, mitfühlenden Valentine. Doch brauchen gerade diese beiden Figuren sich, um einander die Augen zu öffnen und neue Blickwinkel zu ermöglichen, denn auch Valentine kann noch viel vom Richter lernen, um nicht die gleichen Fehler zu machen.
Die zwei Leben der Veronika (1991)
Veronika (Irène Jacob) zieht von Krakau nach Warschau um, um dort Gesangsunterricht zu nehmen. Die Französin Véronique (ebenfalls Irène Jacob) hingegen sieht ihr nicht nur ungemein ähnlich, sondern teilt mit der Polin die Liebe zur Musik, die Linkshändigkeit und einen Herzfehler …
Kieślowskis erste ausländische Produktion war gleich ein großer Erfolg und ebnete ihm den Weg zu seiner Drei Farben-Trilogie. Die zwei Leben der Veronika nimmt sich der Geschichte zweier Frauen an, die sich nicht kennen und lange nichts von der Existenz der anderen wissen und die dennoch auf übernatürliche Weise miteinander verbunden zu sein scheinen. Von Kind an spüren beide diese Verbindung, ohne es wirklich zu begreifen. Wie für die Protagonisten selbst erschließt sich auch für das Publikum die Verbindung der beiden Frauen nicht sofort, was den Film über weite Strecken erst einmal konfus wirken lässt. Zunächst erhält man Einblicke in das Leben von Veronika in Polen bis zu einem schicksalhaften Ereignis, nach dem dann die Perspektive wechselt und nun Véronique und ihr Leben in Frankreich in den Mittelpunkt rückt. Erst nach und nach stellen sich Parallelen im Leben der beiden Frauen heraus und man erkennt einen Zusammenhang der beiden Geschichten. Bis dahin ist es ein langer Weg und letztendlich bleibt das große Rätsel des Films über das Ende hinaus ungelöst. Die Bildsprache des in Gelbtönen gehaltenen Films unterstützt das Mysterium des Films und sorgt für eine traumwandlerische Atmosphäre. Die zwei Leben der Veronika ist sicherlich nichts für Ungeduldige und bedarf einer großen Aufmerksamkeit, denn Kieślowski versteckt vieles im Detail, sodass manches erst im Nachhinein verständlich wird oder eben im Verborgenen bleibt.
Technischer Part
Die von Studiocanal am 4. Juli 2024 veröffentlichte Gesamtedition Krzysztof Kieślowski - Drei Farben Edition erscheint als 4K remastered auf Blu-ray und besticht durch eine gute Bild- und Tonqualität mit deutscher und französischer Tonspur jeweils in DTS-HD Audio Master 5.1 und deutschen Untertiteln für alle vier Filme in der Edition. Jede Disc enthält ein umfangreiches und informatives Interview mit jeweils einem Beteiligten (Juliette Binoche, Julie Delpy, Irène Jacob, Marin Kamitz), Trailer und das Filmlexikon von Krzysztof Kieślowski mit kurzen Einblicken zum jeweiligen Film und einem Making-of auf der Disc zu Drei Farben - Rot. Der Edition liegt eigentlich noch ein Booklet bei, das jedoch beim Test nicht vorlag.
Gesamtfazit
Krzysztof Kieślowskis "Drei Farben-Trilogie" ist ein wahres Kunstwerk, das seine volle Wirkung und Kraft erst nach der Gesamtbetrachtung entfaltet und erst dadurch die Gesamtzusammenhänge offenbart, die sich oft in kleinen Gesten und Symbolen zeigen. Überhaupt hatte Kieślowski ein wahres Gespür und Talent für die Bildsprache, mit der er seine Filme komponierte und mit der er so viel zu erzählen vermochte. Darüber hinaus sind die drei Filme ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Zusammenlebens und dank der Bezugnahme zu den Idealen der Französischen Revolution ein Anstoß, diese Werte tatsächlich zu leben und umzusetzen. Die Drei Farben-Edition lohnt sich in jedem Fall auch dank des umfangreichen Bonusmaterials, der Bildbearbeitung und des Zusatzfilms „Die zwei Leben der Veronika“ für alle, die Arthousefilme mögen und genauso für alle Kenner der Trilogie.
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