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Sundance 2022: Ein Abschlussbericht

Sportello745

Von Sportello745 in Sundance 2022: Ein Abschlussbericht

Sundance 2022: Ein Abschlussbericht Bildnachweis: Sundance Filmfestival

Wäre man noch vor ein paar Jahren sicher für verrückt erklärt worden, hätte man mit Blick auf die Zukunft der großen Film-Festivals, der sogenannten „Triple-A“, die Prognose gewagt, dass sich einige dieser so vom Publikum lebenden Veranstaltungen auf Streaming-Angebote reduzieren würden. Nachdem nun jedoch bereits schon die zweite Online-Ausgabe des Sundance Film Festivals zu Ende geht, scheint die Feststellung jedoch alles andere als gewagt, dass sich zumindest die beiden großen nordamerikanischen Festivals TIFF (das im vergangen Frühherbst hauptsächlich online stattfand) und Sundance entsprechende Vorbereitungen getroffen und eine digitale Infrastruktur geschaffen zu haben, die es den Veranstaltern erlaubt, sich auch an kurzfristige äußere Faktoren (wie zum Beispiel die Omikron-Welle des Frühjahrs 2022) anzupassen. Dass der recht spontane Übergang des Sundance-Instituts hin zum digitalen Festival mitunter durchaus problematisch verlief, lässt sich anhand einer ganzen Reihe von Fällen belegen, denen zufolge Kunden weder Hotel-Buchungen in Park City, Utah, noch Filmtickets rückerstattet wurden (wer sich beispielsweise im Voraus ein 10er-Paket Filmtickets für 750$ gekauft hatte, wurde mit einem Gutschein für 10 Online-Screenings abgefrühstückt, die allerdings individuell für bloße 20$ verkauft werden). Dass ein solcher Umgang mit den eigenen Kunden bald auch in Berlin, Cannes oder Venedig Einzug halten könnte, steht allerdings nicht zu befürchten, nicht zuletzt deshalb, da die europäischen Veranstalter alles daran setzen, die Festivals vor Ort stattfinden zu lassen.

Dass in der digitalen Austragungsform auch eine Chance steckt, lässt sich anhand des Sundance Film Festivals bestens aufzeigen. Beheimatet in Park City, Utah, einer Talsohle in den Rocky Mountains, das über die meiste Zeit des Jahres Winterurlauber in das dortige Ski-Resort lockt, handelt es sich um einen ungemein exklusiven Standort, der angesichts der finanziellen Voraussetzungen für Vor-Ort-Berichterstattungen eine ebenso exklusive Gruppe von Pressevertretern anzieht. Mit der Entscheidung, online zu gehen, öffnet sich Sundance demnach auch einer weitaus größeren Presselandschaft, als dies jemals zu Zeiten vor COVID-19 möglich gewesen wäre. Im Folgenden wollen wir nun ein paar Trends aufgreifen, die sich vom Festival abzeichnen lassen.

Die Black College Experience

Gleich drei Filme des diesjährigen Sundance‘ erzählen, mal mehr, mal weniger extensiv, von explizit schwarzen Personen und ihren Erfahrungen an US-amerikanischen Colleges bzw. Universitäten. Zum einen ist da Julian Higgins God’sCountry, der in der Spielfilmadaption seines eigenen Kurzfilms Winter Light aus dem Jahr 2015 den Campus mehr als Kontext denn Mittelpunkt seiner sich langsam entfaltenden Rachegeschichte begreift. Denn während die von Thandiwe Newton (Westworld) gespielte College-Professorin Sandra nicht nur auf die fehlende Diversität ihrer Fakultät insistiert, sondern auch auf die Bereitschaft des Kollegiums, etwas an diesem Zustand zu verändern, so ist das College-Leben bei Higgins doch die meiste Zeit des Filmes abwesend.

Und doch: Die aktuellen Schwierigkeiten US-amerikanischer Hochschulen, ihren progressiven und inklusiven Lehrplänen auch in der Stellenbesetzung der Lehrstühle gerecht zu werden, finden sich auch in Mariama DiallosMaster wieder, wenngleich sie dort auf weitaus herausfordernde Weise adressiert werden. Gerade Themen wie Identität und kulturelle Aneignung, die sich in Diskussionen traditionell in moralistischen Ausführungen erschöpfen, trotzt Diallo hier echte Ambiguität ab, die nicht nur dem von ihr gewählten Horrorgenre entgegenkommt, sondern auch eine Ambivalenz in uns Zuschauer erzeugt.  

Demgegenüber stellt Carey Williams mit seiner bitteren Komödie Emergency ein Thema, das ein Szenario aufwirft, das, wie Film selbst konstatiert, auf diese Weise nur schwarzen Männern widerfahren könnte. Williams’ Film ist wichtig und auch gut gemeint; er zeigt auf, wie das schlimmste im Kopf bereits durchexerzierte Szenario manchmal nicht mehr abwendbar ist, obwohl die Steine noch nicht einmal ins Rollen geraten sind. Das Dilemma, in dem sich die beiden besten Freunde Kunle (Donald Watkins, First Man) und Sean (RJ Cyler, Me and Earl and the Dying Girl) wiederfinden, als sie eine junge Frau in beinahe komatösem Zustand in ihrem Haus finden, erkennen beide auf Anhieb; die Polizei, so sind sich beide sicher, würde bereits gehandelt haben, weit bevor sie überhaupt darüber nachgedacht haben würden, sie zum Vorfall zu befragen. Das Problem, das Williams’ Komödie indes anhaftet, ist, dass er dem Diskurs hinterherläuft. Man mag zustimmend nicken, verbittert oder oder emotional aufgelöst, doch es wird nicht darüber hinwegtäuschen, dass Emergency niemals die diskursiven Höhen von Diallos Master erreicht, was diesen nur noch weiter herausstechen lässt.

Vom Begehren, gesehen zu werden

Ein vielleicht weniger explizites und politisch geprägtes Thema lässt sich in mehreren Vertretern des Festivals identifizieren. Sundance zeigte dieses Jahr vermehrt Filme, die von der Unbefriedigung mit dem direkten Umfeld und dem Wunsch, jenem zu entkommen, handeln. Es sind Filme über Figuren, die das Gefühl haben, von ihrem direkten sozialen Milieu, in Form von Familie oder Freundeskreis, nicht mehr verstanden zu werden und die sich der Illusion hingeben, nur von dem ihnen Fremden begriffen zu werden. Was sich wie eine Trope aus dem Coming-of-Age-Genre anhört, welches schließlich von der Bildung und Selbstverwirklichung Heranwachsender handelt, schlägt sich in mehreren Genres wieder.

Das beste Beispiel für diese Filme ist Chloe Okanus Horrorfilm Watcher, in welchem Maika Monroe als Julia nach ihrem Umzug in das rumänische Bukarest von ihrem Umfeld im wahrsten Sinne des Wortes nicht verstanden wird. Durch die Vernachlässigung ihres Freundes entwickelt (oder entdeckt) sie eine Obsession dafür, von anderen gesehen zu werden, bis sie schließlich in ihrem Nachbarn einen perversen Voyeur ausmacht. Erweckt wird dieser Gedanke von der Nachricht, dass ein Mörder in der Stadt umgeht. Der entscheidende Aspekt, der den Horror von Watcher subtextuell antreibt und auch zahlreiche andere Filme des Festivals infundiert, ist die permanente Angst, wie auch der insgeheime Wunsch, zum Objekt der Lust gemacht zu werden. In ihr kulminiert zwar gleichzeitig die Angst, Opfer zu werden, aber auch der insgeheime, selbstzerstörerische Wunsch, begehrenswert zu sein.

Dieses Flirten mit dem Todestrieb findet seine expliziteste Variation im vielleicht erzählerisch kraftvollsten wie verstörendsten Film des Festivals, Jamie Dacks Spielfilmdebüt Palm Trees and Power Lines. Dieser verfilmte Albtraum aller Eltern handelt von der 17-jährigen Lea (hat eine große Karriere vor sich: Lily McInerny), die, ignoriert von ihrer Mutter und genervt von der infantilen Oberflächlichkeit ihrer Freunde, eine Affäre mit einem Mann beginnt, der doppelt so alt wie sie ist. Als Publikum sehen wir bald alle möglichen roten Flaggen in dieser Beziehung, und Lea sieht sie auch, aber ignoriert sie offenbar. Es dauert nicht lange, bis sich das brutale Ende dieser entgleisenden Spirale aus Abhängigkeit abzeichnet. Was den Film so gnadenlos macht, ist seine permanente Ambition, Lea und ihr Begehren ernst zu nehmen. Die erblühenden Gefühle und die Euphorie, endlich besonders für jemanden zu sein, kostet ihr Film genauso aus wie die permanente Angst vor dieser asymmetrischen Machtdynamik. Dacks Film ist nicht besonders nuanciert und läuft in ein paar Momenten Gefahr, zu einer reinen Fallstudie zu verkommen. Aber auch dies wirkt im Gesamtkontext wie ein Element, durch das der Film mit dem Vorwissen des Publikums spielt. In ruhigen, detailliert inszenierten Bildern erzählt Palm Trees and Power Lines von ein paar wenigen Tagen, die ein ganzes Leben aufs Tragischste prägen und das Vertrauen gegenüber dem Anderen bis ins Mark erschüttern werden.

Als Genre-Äquivalent hierzu sei Mimi CavesFresh zu erwähnen, der auf überspitzte Art mit den Ängsten und Mikroaggressionen der gegenwärtigen Dating Kultur spielt, dies letztendlich aber nur als Katalysator für seine eher gewollt obskuren Plot-Exzesse benutzt. Kreativer mit dem Thema der Abhängigkeit von Anderen und der Suche nach externer Bestätigung gestaltet es sich in Riley Stearns pechschwarzer Sci-Fi-Komödie Dual, in dem Karen Gillan sich die Gunst ihres Lebensgefährten und der eigenen Mutter zurück erkämpfen muss, nachdem ein von ihr selbst in Auftrag gegebener, wissenschaftlich konstruierter, Klon ihr beide weggenommen hat. Die hoffnungslose Suche nach der Akzeptanz eines entfremdeten Umfelds, auch wenn dieses einen ohne Skrupel ausgetauscht hat, ist in Stearns Dual in seiner erbärmlichsten, wie auch in seiner tragisch-menschlichsten Form zu finden. Am explizitesten, aber auch leider am inhaltslosesten, wird die Suche nach der Identität im Anderen nur in Lena Dunhams Sex-Groteske Sharp Stick, in der eine 26-Jährige hemmungslos ihr spätes sexuelles Erwachen feiert. Was auf dem Papier wie eine verdiente Abrechnung mit einer Welt klingt, in der jeder, der nicht eine Reihe sexueller Erfahrungen vorzuweisen hat, belächelt wird, verkommt unter Dunhams unmotivierter Regie leider zu einem bemühten Abarbeiten allerlei Sex-Klischees, die man bereits in mehreren Judd-Apatow-Produktionen lustiger inszeniert gesehen hat. 

Geschichte, die in uns weiterlebt

So erbaulich wie deprimierend kommt der Gedanke daher, dass gewisse Filme beim diesjährigen Sundance uns daran erinnern, Geschichte erst aufhört, Geschichte zu sein, wenn wir ihrer vergessen und dass die kollektive Geschichtsschreibung hoffnungslos versagen muss, unseren individuellen Biographien gerecht zu werden. Gleich in zwei durchaus verschiedenen Filmen, Ricky D’Ambroses The Cathedral wie auch God’s Country von Julian Higgins taucht auf diese Weise noch einmal Hurricane Katrina auf, der 2005 zahlreichen Menschen das Leben nahm oder viele der Überlebenden vom einen auf den anderen Tag in Armut und Verzweiflung riss. Auf ähnliche Weise ist auch der mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnete The Exiles von Violet Columbus und Ben Klein darum bemüht, nicht nur an das Massaker vom Tiananmen-Platz (dem Platz des Himmlischen Friedens) zu erinnern, das sich 1989 im Anschluss an die Proteste für Demokratie ereignete, sondern auch den Prozess des filmischen Festhaltens selbst zu thematisieren. Das Kino dient hier als Erinnerungsraum, der uns, ungeachtet der Aufmerksamkeitsökonomie medialer Berichterstattung, erfahren lässt, dass sich mit dem Fernbleiben gewisser Themen in den Nachrichten die Probleme nicht in Luft aufgelöst haben, dass wir diese mit uns weitertragen.   

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