Erwähnungen
Ulmer Dramaturgien - Film an der Hochschule für Gestaltung - Kritik
Von Smooli in Ulmer Dramaturgien - Dokumentation - Kritik
am Freitag, 22 Dezember 2017, 07:38 Uhr
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Einleitung
Der Preis für die außergewöhnlichste Heimkino-Veröffentlichung des Monats geht mit Sicherheit an die Damen und Herren von absolutmedien. Jenen ist es nämlich gelungen ein Stück Filmgeschichte zu konservieren, das so sonst wohl nie seinen Weg auf die Flimmerkisten der Republik gefunden hätte. Ulmer Dramaturgien (seit dem 24.11.2017 dank absolut Medien GmbH im Handel) ist ein Werk, das sich mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm auseinandersetzt. Genauer, mit der Filmabteilung der Hochschule, die in den 1960er Jahren, pünktlich zur Nouvelle Vague und nur ein Jahr nachdem der Kampfspruch „Papas Kino ist tot“ eine neue Ära des deutschen Films ankündigte, entstand. Geleitet wurde diese Abteilung von Alexander Kluge (Deutschland im Herbst) und Edgar Reitz (Die andere Heimat), zwei Unterzeichner des „Totes Kino“-Manifests und seither Säulen des deutschen Films.
Kritik
Das, was in der Filmabteilung in Ulm in einem Rahmen von etwa sechs Jahren so entstanden ist, wurde von den Herausgebern Günther Hörmann und Günther Merkle (hätte der Autor von dieser Namen-Parallele vor der Bestellung gewusst, es wäre noch ein Grund mehr gewesen, einen Blick zu riskieren) auf zwei Scheiben mit einer Gesamtlaufzeit von über fünf Stunden gepresst. Fünf Stunden, die den Neuen deutschen Film von einer anderen Seite zeigen, als man ihn sonst zu sehen bekommt. Der Vordenker dieser besonderen Filmströmung ist und bleibt doch die Nouvelle Vague, deren Filmemachern man bis heute zuschreibt, sie sei die erste Generation gewesen, die vom Filmegucken zum Filmemachen gekommen ist. Das Theoretische, das Herausgestellte, ja das Lernbare waren stets wichtige Punkte ihrer Arbeit.
Überträgt man dieses Prinzip auf den Neuen deutschen Film, und möchte man diese Filmströmung wahrlich kennenlernen, so erscheint es als logisch, dass man auch die (damals) vielversprechende Gruppe zeigt, die diese Jahre des filmischen Umbruchs unmittelbar miterlebt. Es lebten nicht nur Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und Werner Herzog. Es lebten auch Brian Wood, Wilfried E. Reinke oder Marion Zemann, die ihre ganz persönliche Sichtweise auf diese Kurzfilme münzten. Für die Veröffentlichung der Ulmer Dramaturgien sammelten die Herausgeber 25 sogenannte „Miniaturen“ (kurze Übungen zum Thema Einstellungen von jeweils um die 60 Sekunden Länge) und neun weitere Kurzfilme einiger Absolventen. Wie bei wohl jeder Kollektion gibt es dabei Werke, die das Publikum ins starre Staunen versetzen und Werke, die nicht so sehr zu begeistern vermögen.
Die Miniaturen sind dabei kleine Übungen, die Einblicke in eine Welt bieten, die mal mehr mal weniger bekannt erscheinen. Sei es das Land, ein Gefühl, die Seelenwelt der Figuren oder eine Liebesbeziehung, die in einem romantischen Abendessen beginnt und dann mit schmatzendem Genuss an die Wand gefahren wird. Leichte, mitunter seichte Fingerübungen, die aus allen Perforationslöchern „Student“ schreien und vor allem deswegen nichts an Charme einbüßen. Dabei ist der Einfluss der Herren Godard und Truffaut überaus deutlich. Und auch wenn die Übungen oft brav statisch gehalten sind, gewähren sie detaillierte Einblicke, die ob ihrer extrem Detailliertheit mehrmals Schabernack mit dem Publikum treiben zu scheinen. Teils verbinden sich die Bilder und Töne der kurzen Filme zu einem eleganten Strom, teils haben sie eine ruhige, dabei fast lakonische Erzählweise.
Eine Veranschaulichung des Humors an dem wohl eindringlichsten Werk der Veröffentlichung. Brian Woods 38-Minüter Zur Sache Fleisch. Wood zeigt Einblicke in die deutsche Rindfleischproduktion, wobei er zunächst eine Viertelstunde lang ohne Ton die Schlachtung eines Bullen durch drei Männer zeigt. Wood schafft etwas Besonderes: Er hält den Tod fest und lässt ihn über zwei Minuten lang ausklingen. Das Tier wird getötet (ein bisschen), dann ordentlich abgestochen (endlich kein Zappeln mehr), die Hörner mit einer Axt abgeschlagen, die Hufe an Seilen aufgehängt, die Kehle aufgeschnitten, die Haut nach und nach abgezogen, das Blut herausgelassen, die Organe herausgeschnitten, bis nur noch zwei Hälften von der Decke baumeln. Mit dem Tier des Anfangs hat das weder in Form noch im Geiste etwas zu tun. Eine komplette Entstellung und Perversion des Lebewesens, konterkariert mit der seelenruhigen und automatisierten Tötung der deutschen Schlachter. Manches verlernt man nie.
Nach quälend langen Minuten beginnt endlich der Erzähler zu reden - erlöst den Zuschauer von der brutalen Stille und tut dies mit dem zuvor angekündigten Humor. Denn der Erzähler spricht einzig über die ungesunde Körperhaltung der Schlachter und kritisiert ihre ungünstige Arbeitsweise. Das gibt später Rückenschmerzen! „Sie… Siehst du, was ich sehe?“ fragt Wood zum Ende seines Films in einer Comic-Montage den Zuschauer und vollendet sein Werk als ein immens memorables, sehenswertes, atmosphärisch eindringliches Stück Film. Diese vierzig Minuten Film sollte man gesehen haben, diese vierzig Minuten verändern. Mit Lakonik, mit Weitsicht, visuellem Gespür und teilweise liebevollem Humor ist Zur Sache Fleisch ein Werk, das exemplarisch für die anderen Filme der Ausgabe steht.
Fazit
In Zeiten des Internets und des schier unendlichen Informationsangebots graust es dem Autoren regelmäßig bei dem Gedanken an all die Filme, die als nicht mehr existent gelten oder an jene, die als einer Veröffentlichung nicht würdig gehandelt werden. Auch die hier gesammelten Werke hätte man zu sehen nie träumen gewagt - einfach, weil sie unter dem Radar flogen. Doch es ist ein Bereich, der unbedingt weiter ausgeleuchtet werden sollte. Eine Veröffentlichung, die die unbesungenen Helden des Neuen deutschen Films feiert - die Studenten. Zu sehen sind hier immens persönliche, teils mutige, teils metaphorische oder dokumentarische Werke, die entweder recht schnell verdrängt, oder ein Leben lang begleiten werden.
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