Wie kaum ein Zweiter beherrschte Jean-Pierre Melville (Der eiskalte Engel) den Drahtseilakt zwischen Arthaus- und Genrekino. Seine Filme wandeln unnachahmlich auf dem schmalen Grat von hohem Anspruch und erstklassiger Spannung, womit er mehrfach beweisen konnte, dass sich diese Eigenschaften nicht zwangsläufig im Wege stehen müssen. So auch bei Armee im Schatten, der selbst in der qualitativ wahnsinnigen Vita von Melville noch eine Ausnahmeerscheinung darstellt, (nicht nur) aus ganz persönlichen Gründen. Melville – Jahrgang 1917 – war ein junger Mann, als sein Heimatland von Nazi-Deutschland überfallen, besetzt und sich über Jahre im Würgegriff des faschistischen Regimes befand. Er selbst war nicht nur ein unmittelbar betroffener Zeitzeuge, sondern aktives Mitglied der Résistance, die unter Einsatz ihres Lebens sich gegen den übermächtigen Feind stemmte.
Diese Erfahrungen verarbeitet er bei Armee der Schatten, wobei es sich natürlich formal um eine Romanverfilmung von Joseph Kessel handelt. Unverkennbar ist dennoch der persönliche Bezug von Melville zu der Thematik, allein durch etliche Details und besonders den sehr authentischen, ungeschönten wie schmerzhaften Blick in die individuellen Einzelschicksale, die dieser Krieg im Hintergrund erfordert, die aber im Blick auf das große Ganze keine Rücksicht erfahren können…zumindest, wenn das Wohl des Einzelnen die Sache im Gesamten in Gefahr bringt. Dann, was die größte Stärke dieses ohnehin bärenstarken Films ist, wird diese perverse Diskrepanz offen gelegt, die sich allgemein wie ein roter Faden durch die Werke von Jean-Pierre Melville zieht. Loyalität und interne Moral sind wichtig, sogar unabdingbar, doch wenn eine Grenze überschritten wurde, ob freiwillig oder unverschuldet, greift nur eine Konsequenz. Ein heftiger Zwiespalt, der in den von ihm geschilderten Fällen jedoch eine absoluten Logik zu Grunde liegt, und dadurch wird erst so deutlich, wie unglaublich präzise und klug er über menschliche Abgründe balanciert und seine Figuren auch nicht davor schützt, den tiefen Fall zu erleben.
Die Résistance kämpfte für Freiheit und Gerechtigkeit, gegen ein sadistisches und menschenverachtendes System, muss sich gleichzeitig dadurch schützen, im Ernstfall ähnlich skrupellos zu handeln, wenn es die Situation erfordert. Melville thematisiert eher den internen Konflikt und die damit verbundenen Gewissensbisse, als den aktiven Kampf gegen den direkten Feind, davon bekommen wir genau genommen nichts zu sehen, erleben nur die Folgen. Die Faschisten bilden im Prinzip nur den Rahmen und sind als omnipräsente Bedrohung vorhanden, alle zwischenmenschlichen und dadurch wichtigen Aspekte spielen sich ausschließlich innerhalb des Widerstands ab. Dort wird schon früh klar, das Opfer unabdingbar sind, wenn man für etwas Großes kämpft. Jedem wird eingebläut sich an die Regeln zu halten, wer dazu nicht in der Lage ist, riskiert nicht nur sein eigenes Leben, er riskiert den Erfolg einer Nation.
Das mag sehr pathetisch, ehrenhaft klingen, genau an dem Punkt kommt die ehrliche Inszenierung von Melville ins Spiel: Trotz seiner Vergangenheit versucht er niemals, das Geschehen deutlich zu glorifizieren, zu rechtfertigen oder entschuldigen. Es gibt in dem aufreibenden Kampf kaum leichte Entscheidungen, keine Helden mit blütenreinen Westen und erst recht nicht einem unbeschwerten Gewissen, sie schwächeln, brechen ein und bleiben Menschen, mit allen Fehlern und Emotionen, die nicht immer falsch sind, nur manchmal nicht der Sache entsprechend. Was das zur Folge hat und in wie weit man sich da noch von dem hässlichen Feind unterscheidet, es ist nur noch an dem Ziel wirklich erkennbar, kaum von der Vorgehensweise. Bitter, aber absolut richtig und deshalb unwahrscheinlich niederschmetternd. Melville geht einen unbequemen Weg, der statt Schwarz und Weiß in tristem Grau gezeichnet ist, damit allerdings genau den Kern der Sache trifft und ein unglaublich drastisches Ende findet, das einem jede Illusion raubt. Nur die Geschichte hat gezeigt, dass nicht alles umsonst war.