Inhalt
Hohe Mauern, Elektrozäune, Videoüberwachung, bewaffnete Sicherheitsdienste - der Rückzug in bewachte Wohnanlagen wird für die höheren Einkommensklassen auf allen Kontinenten immer häufiger zum Ausweg aus den ungelösten Problemen urbaner Lebensräume: Überbevölkerung, mangelnde Infrastruktur, Kriminalität. In sogenannten "Gated Communities" wird Ihnen ein Leben "auf der sicheren Seite" garantiert. Der Dokumentarfilm von Corinna Wichmann und Lukas Schmid zeigt Innen- und Außenansichten von drei "Gated Communities" in Johannesburg, Bangalore und Las Vegas.
Kritik
Wer die Mauer überwindet, findet sich vor einem mit Sensoren bewerten Sicherheitszaun. Das Tor kann nur mit Ausweis- und Fingerabdruckkontrolle passiert werden. Rund um die Uhr wird das gesamte Gelände videoüberwacht. Von einem Hochsicherheitstrakt unterscheiden die Anlage namens Dainfern zwei Dinge: Statt spärlicher Zellen stehen hier luxuriöse Einfamilienhäuser und die Anwohner können kommen und gehen, wie sie wollen. Das im südafrikanischen Johannesburg gelegene Viertel ist eine Gated Community. Drei solcher nach außen hin abgeriegelten Wohngegenden, die ihren Einwohner Sicherheit und Komfort versprechen, besuchte Regisseurin Corinna Wichmann und Regisseur Lukas Schmid. „Life has its rewards“, verspricht in der Reportage ein Werbeslogan. Diese Belohnungen lassen sich die Mieter einiges kosten. Im Preis enthalten ist nicht nur Schutz vor Kriminalität, sondern das Privileg, Gewalt, Armut und missbilligte ethnische Gruppen nicht sehen zu müssen.
Von Segregation will die exklusive Gemeinde natürlich nichts hören. Das sei eine ethnisch gemischte Kommune, betont die Anwohnerin Brenda auf einer Rundfahrt durch Daifern. Farbige sieht man tagsüber in der Tat oft in den Straßen. Abends kehren sie zurück in das Gebiet jenseits des durch eine Mauer verstärkten Sicherheitszauns, zurück in die Stadt mit einer der höchsten Mordraten weltweit. Nach Dainfern kommen sie nur als Bedienstete der Weißen. Teil dieses Dienstbotendaseins ist es Augen und Ohren der Herrschaften zu sein. In Gruppentreffen werden die Angestellten von einer (weißen) Leiterin ermahnt, alles Auffällige zu melden, gerne anonym. Indirekt spionieren die Anwohner einander aus. Es kann ja bekanntlich der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Das Leben unter ständiger Kontrolle bewirbt die Gemeinde als individuellen Lifestyle. Eine andere Gated Community sieht sich als Ort „Where life comes naturally“. Die Vorstellung von Natürlichkeit innerhalb der Zäune spricht für sich: Die lupenreinen Straßen sind menschenleer, als seien selbst Fußgänger eine Form von Dreck. Kinder sieht man nicht. Hunde müssen an der Leine gehen.
In der Community Spanish Trail in Las Vegas gibt es beides nicht, keine Kinder, keine Hunde. Dafür aber einen gemeindeeigenen Friseur. Für ihn war die Ruhe vor allem, was unkontrolliert herumwuselt und spielt, ein Grund herzuziehen. In Spanish Trail herrscht Ordnung, mit einem großen O, R, D, N, U, N und G. Hier kann man sich sogar eines Mülleimer-Vergehens („Trash can violation“) schuldig machen. Wehe dem Nachbarn, der sein Gerümpel sichtbar deponiert. „Niemand will das sehen“, kommentiert einer der Sicherheitsmänner, welche in Wagen durch das Viertel patrouillieren. Wenn man einmal anfinge, Ausnahmen zu machen, gehe das ins Uferlose. Eine offene Garagentür, ein falscher Baum im Vorgarten und dann? Anarchie! Zwei Wohnzimmer, drei Badezimmer, mehrere Schlafzimmer, das sei normal in Dainfern, berichtet eine Einwohnerin. Nicht zu vergessen die Veranda, der quintessentielle Platz an der Sonne. Die Anwohner leben wie die Made im Speck. Damit niemand anderes das fette Leben kostet, haben sie eine Käseglocke darüber gesetzt.
Das Dienstmädchen haust in einer Wellblechhütte, brütend heiß im Sommer, kalt im Winter und die drei Kinder schlafen auf dem Boden. Ein Gärtner zeigt stolz seine Toilette und betont, die funktioniere sogar. Luxus ist relativ. Für die einen ist es fließend Wasser, für die anderen nicht einmal eine Nobelvilla. Manche hielten ihn wegen seines Wohnsitzes für ein verwöhntes Muttersöhnchen, berichtet ein Jugendlicher aus Spanish Trail. Doch das sei er nicht, sondern: „Wie war das Wort? Privilegiert“. Wer erfolgreich ist, verdiene mehr Komfort und Sicherheit, behauptet der Reklameslogan eines der abgeriegelten Viertel – auch Sicherheit vor Kamerateams mit unerwünschten Fragen. Eine Dreherlaubnis in Deutschlands erster Gated Community Arcadia in Potsdam bekam das Filmteam nicht.
Nachtrag: Zuletzt titelte 2015 eine Berliner Tageszeitung über Arcadia, es gäbe „Zoff im Luxus-Wohnparadies“. Die griechische Landschaft Arkadien war übrigens entgegen der idealisierten künstlerischen Vorstellung tatsächlich kein sonderlich idyllischer Ort.
Fazit
Der Mut zu konfrontativen Fragen und offener Kritik fehlt der zurückhaltenden Dokumentation. Bedrückend relevant ist der Dokumentarfilm aufgrund seiner ambivalenten Thematik dennoch.
Autor: Lida Bach