Inhalt
Mit seinem Film erkundet Regisseur Andrew Dominik das komplizierte Leben von Marilyn Monroe und zeichnet ein gewagtes neues Bild der bekannten – und unbekannten – Seiten der Hollywood-Legende. „Blond“ mit Ana de Armas als Marilyn Monroe sowie Adrien Brody, Bobby Cannavale, Xavier Samuel und Julianne Nicholson in den Hauptrollen basiert auf dem gleichnamigen Roman von Joyce Carol Oates und hat am 28. September auf Netflix Premiere.
Kritik
Marilyn Monroe – ein Name, der selbst denen, die noch nie in ihrem Leben ein Lichtspielhaus betreten haben, ein Begriff sein wird. Um die Ikone Hollywoods, die als Pin-Up Model ihre Karriere startete, zum Sexsymbol einer ganzen Nation aufstieg, die sich im pinken Kleid „Diamonds are a girls best friend“ singend in Blondinen bevorzugt die Leinwand endgültig eroberte und die im Alter von gerade einmal 36 Jahren an einer Drogenüberdosis tragisch verstarb, existieren mehr Mythen und Legenden als aufrichtiges Interesse an ihrer Person. Marilyn Monroe, dieser Name ist überall, aber die Frau, die sie wirklich war, die Person hinter der Persona, welche den Namen Norma Jeane Mortenson trug, die führt ein dunkles Dasein in der Geschichte Hollywoods. Auch diese Tatsache ist ein Klischee, genau wie der nicht aufhörende Totenkult um sie alles zwangsläufig zum Klischee verdammen muss. Andrew Dominks (Killing Them Softly) erster narrativer Spielfilm seit 10 Jahren Blond ist zwar keine Biografie Norma Jeanes Lebens, sondern eine Verfilmung von Joyce Carol Oates fiktionalisierten Romans um eben jenes, aber auf weiter Strecke wird dies bei einer Frau, deren Narrativ noch vor ihrem Tod nicht mehr ihr selbst gehörte, für das Publikum kaum einen Unterschied machen. Dominiks Film macht es sich zur ambitionierten Aufgabe, die Person hinter der Persona aufzudecken, die Diamantendecke hinter der Hölle Hollywood, die Norma Jeane auffraß und wieder ausspuckte, hervorzuziehen, doch viel findet er nicht unter ihr. Stattdessen ergötzten sich Dominiks halluzinatorischen Bilder an einem Strudel aus Elend und Missbrauch, an nahezu jeder Form dehumanisierenden Methoden des Showgeschäfts und schafft es beachtlich durch eine nie dagewesene Bildgewalt diesen sein Publikum mitdurchleiden zu lassen. Doch so gewaltig diese Bilder auch sind, den Namen Marilyn Monroe erreichen sie nicht.
Blond ist vermutlich so radikal und explizit wie Biopics (wenn man es hier so nennen möchte) nur werden können, sowohl in seinem Inhalt als auch in seiner Form. Schon zu Beginn zeichnet er das Bild einer geschundenen Kindheit, wenn Norma Jeane (Lily Fisher) als siebenjähriges Mädchen ertragen muss, wie ihre psychotische Mutter Gladys (Julianne Nicholson, Monos) sie erst durch ein Waldfeuer über Hollywood fährt und anschließend versucht, sie in der Badewanne zu ertränken. Dieses Leben, geboren im Fegefeuer der Traumfabrik, wird von hier aus nur schwerlich besser – bereits in frühen Jahren endet Norma Jeane (nun Ana de Armas, Blade Runner 2049) bei dem Versuch ihre Schauspielkarriere zu starten im Büro des Produzenten und wird von diesem sexuell genötigt. Die restlichen Filmminuten drehen dieses Rad immer weiter und lassen fast keine Szene der Erniedrigung, der Objektifizierung und der sexuellen Gewalt aus. Besonders in letztem Punkt verdient sich Blond sein gefürchtetes NC-17 Rating. Dominik will uns diese Hölle abseits des Glamours der Leinwand immersiv erfahrbar machen und reichert durch seine halluzinatorisch-immersive Inszenierung den Film an mit einer gnadenlosen Urgewalt, in der jede Szene in sein eigenes groteskes Kunstwerk mutiert. Nur erzählen die spektakulären Bilder, welche von Slow-Motion, Speed-Ups, Ultra Close-Ups, des permanenten Wechsels aus S/W-Farbe und Aspect Ratios und schließlich sogar eines POV-Shots aus einer Vagina während einer Abtreibungsszene wirklich alle existierenden inszenatorischen Mittel auffahren, immer wieder dieselbe Geschichte.
Es sollte dabei jedoch betont werden, welche ästhetischen Höhen die Bilder des Filmes finden, welche von einer Bettdecke, die in der Überblendung sich zu den Niagara-Fällen verwandelt, bis hin zu einem visualisierten Fötus im Mutterleib. Letzterer fängt schließlich sogar an, mit Norma Jeane zu reden, eine von vielen Ideen, die so sehr mit dem Surrealen flirten, das man fast glaubt, David Lynch wäre hier als Regisseur vorgesehen gewesen (man kann sich allerdings auch einfach Mulholland Drive nochmal ansehen). Die wohl interessanteste Form der Psychologisierung existiert in der Implikation, Norma Jeane könnte die Psychose ihrer Mutter geerbt haben, ein Einfall, mit dem der Film sein Abgleiten ins Surreale rechtfertigt. Tatsächlich begreift Blond die Star-Persona, mit Marilyn Monroe als dessen ultimative Verkörperung, als fatale Überschneidung zwischen interner und externer Identität, als Kampf zwischen beiden an dessen Ende die Person immer gegen die Persona verlieren muss. „Life is a jigsaw puzzle, you just don’t get to put the pieces together yourself” erkennt Norma Jeane, brillant in ihrer Verzweiflung und nahezu erschreckend in ihrer entwaffnenden Naivität verkörpert von Ana de Armas, dessen nahezu gespenstige Ähnlichkeit der Film bei seinem Verschmelzen mit historischen Aufnahmen vollends auskostet. Norma Jeane wird recht behalten: Blond zeichnet das Bild eines Lebens jenseits der eigenen Autonomie, welches erst von der Familie und später von der Traumfabrik gelenkt und gnadenlos zerstört wird. Übrig bleibt nur der Star, selbst nichts weiter als eine alles zerfressende Psychose. Dieser Ansatz ist aber nicht subversiv und begeistert nur, solange er auf der Ebene der Ästhetik bleibt. Inhaltlich gibt Dominik vor, die Stücke dieses Puzzles unangerührt zu lassen, kann aber letztendlich nie davon ablassen, sie zu einem schwarzen Gemälde des nie aufhörenden Leides zusammen zu setzten. Das ist mitreißend, immersiv und in seinem kolossalen Umfang einzigartig, aber fügt weder Marilyn Monroe und erst recht nicht Norma Jeane irgendeine Facette hinzu. Dominik, der mit seinem Meisterwerk Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford einen Film über die Gefahr, einem Mythos zu verfallen, gedreht hat, ist solch einem Mytos mit Blond auf spektakuläre Weise selbst zum Opfer gefallen.
Fazit
"Blond" ist ein Film jenseits von Gut und Böse. Grenzen des Biopic-Narrativs sprengt Andrew Dominik genauso sehr wie alle Grenzen des guten Geschmacks: Diese fiktionalisierte Version des Lebens von Marilyn Monroe ist brachial, gewaltig, schmerzhaft, in seinen stärksten Momenten von unglaublicher Schönheit, in seinen schwächsten durchzogen von einem rücksichtslosen Zynismus. Trotz der Urgewalt dieses nicht endenden Alptraums existiert die Passion Norma Jeanes nur ihrer selbst willen, darüberhinaus kann der Film sie nicht greifen.
Autor: Jakob Jurisch