Inhalt
In einem abgelegenen Internat im Bergland von Anatolien, in dem türkische Lehrer*innen begabte kurdische Schüler aus der Umgebung unterrichten, herrschen strenge Regeln. Einmal in der Woche dürfen die Jungen duschen, und wie alles hier wird dieser Vorgang überwacht. Eines nachts bittet der 12-jährige Memo seinen Freund Yusuf, mit bei ihm im Bett schlafen zu dürfen. Doch Yusuf lehnt ab, er hat Angst vor Gerede. Am nächsten Morgen ist Memo krank und Yusuf spürt, dass in der letzten Nacht etwas geschehen ist.
Kritik
Eisige Wintertemperaturen werden zu naturalistischen Symbolen der menschlichen Kälte des harschen Schauplatzes im ländlichen Anatolien, wo die jungen Protagonisten direkt und indirekt Opfer eines brutalen Systems werden. Die kindlichen Erinnerungen, die Ferit Karahan mit dem Handlungsort seines zweiten Spielfilms verbinden, sind unterschwellig präsent in jeder der sorgsam komponierten Szenen. Deren poetische Mehrdeutigkeit steht in unausgewogenen Kontrast zu der unbarmherzigen Atmosphäre, die Türksoy Gölebeyis exzellente Kamera inmitten der einsamen Landschaft heraufbeschwört, während die Temperaturen weiter fallen.
Die eklatante Abwesenheit menschlicher Wärme zeigt sich schon in der ersten Szene, die den einzigen wöchentlichen Waschtag der kurdischen Schüler eines mit militärischer Strenge reglementierten Jungeninternats zeigt. Körperliche Deprivation ist Teil der fest in der institutionellen Hierarchie verankerten Schikane, die sich über alle Ebenen der kargen Lehranstalt fortsetzt. Solidarität existiert weder zwischen der Belegschaft noch zwischen den Kindern. Umso verdächtiger erscheint die Fürsorge des 11-jährigen Yusuf (Samet Yıldız) gegenüber seinem über Nacht erkrankten Mitschüler.
Der in einer ähnlichen Internatsschule unterrichtete Regisseur spickt den schlichten Plot mit subtilen Hinweisen auf Yusufs ambivalente Motive. Seine verzweifelte Bemühung, Memo (Nurullah Alaca) medizinische Hilfe zu sichern, fungiert als sympathischer Spiegel des Verhaltens der Erwachsenen. Während der sadistische Lehrer Selim (Ekin Koç) seine Mitschuld zu vertuschen sucht, ist der Direktor (Mahir İpek, Hükümet Kadin) mit den desolaten Zuständen vor Ort überfordert. Die bittere Pointe versinnbildlicht das wortlose Übereinkommen der Mächtigen, die Schwächsten dem System zu opfern.
Fazit
Nicht nur die naive, doch nachdrückliche Botschaft der sozialdarwinistischen Willkür innerhalb eines autoritären Lehrapparats verleihen Ferit Karahan einen aktuellen Fokus. Das besser für die Berlinale Sektion Generation als Panorama geeignete Jugenddrama vermittelt mit seiner pessimistischen Story in parabolischer Simplizität die verheerenden Auswirkungen institutionalisierter Verrohung, die Menschlichkeit als Schwäche stigmatisiert. Die akzentuierte Bildsprache balanciert das begrenzte Schauspielvermögen der kindlichen Laiendarsteller, die den Plot bisweilen ähnlich sabotieren wie ungelenker Humor, den die biografisch angehauchte Pädagogikkritik umgehend erstickt.
Autor: Lida Bach