Inhalt
Die Ehepartner Mike (Tom Butcher) und Christine (Rachael Blake), in deren Beziehung in letzter Zeit anscheinend so einiges schief gelaufen ist, sitzen gerade beim allabendlichen gemeinsamen Essen, unterhalten sich über belanglose Themen und warten auf ihren Sohn Sebastian, als es unvermittelt läutet. Christine öffnet die Tür und lässt damit das Grauen - in Form einer völlig enthemmten britischen Jugendgang - in ihr (zumindest vorgeblich) trautes Heim. Die Gang, die von Rian (Jumayn Hunter aus „Attack the Block“) angeführt wird schlägt Mike brutal zusammen und fixiert ihn am Boden. Völlig abgestumpft und trocken erklären die drei Jugendlichen, dass sie nun gemeinsam auf Sebastian warten und ihn töten werden. Im Laufe dieser knapp 60minütigen Wartezeit wird ferngeguckt, gestohlen, geschlagen und vergewaltigt, wobei gegen Ende hin auch noch zwei Mädchen und ein kleiner Junge zur fragwürdigen Hausparty eingeladen werden. Die Gewalt eruptiert und nach knapp 70 Minuten ist der ganze Spuk schon wieder vorbei.
Kritik
Hausgemachter Terror
Sogenannte Home Intruder beziehungsweise Home Invasion Filme sind für den geneigten Zuschauer besonders schwer zu verdauen, da sie meist realitätsnah und äußerst offensiv, das Eindringen von etwas Schrecklichem respektive Zerstörerischem in den letzten vermeintlich geschützten Rückzugsort vor einer immer hektischer werdenden Zeit - in die eigenen vier Wände - darstellen. „Funny Games“, „Kidnapped“, „Inside“ und „The Strangers“ sind nur einige Beispiele für Vertreter dieser speziellen filmischen Spielart. Wobei man die breite Streuung dieses Subgenres bereits daran erkennen kann, dass man das verstörende, medienkritische Drama „Funny Games“ (sowohl in der österreichischen als auch der amerikanischen Version) nur sehr schwer mit geradlinigen Genrestreifen wie „The Strangers“ oder „Kidnapped“ über einen Kamm scheren kann. „Cherry Tree Lane“ von Paul Andrew Williams, der mit „London to Brighton“ und „The Cottage“ sowohl ein aufrüttelndes Drama als auch einen reinrassigen Slasher in seinem Repertoire aufzuweisen hat, zielt hierbei eindeutig eher Richtung hyper-realistische Sozialstudie als Richtung Horrorfilm.
Regisseur Paul Andrew Williams versucht mit „Cherry Tree Lane“ ein möglichst realitätsnahes und unbequemes Filmerlebnis zu schaffen, scheitert aber an den eigenen - offenbar viel zu hoch gesteckten - Ansprüchen. Die Grundthematik des Films ist erschreckend und in ihrer brutalen Aussichtslosigkeit erschütternd. Außerdem lädt die angsterfüllte Atmosphäre den Betrachter zum Mitfiebern ein. Die Umsetzung des viel zu kurz geratenen Streifens krankt jedoch an allen Ecken und Enden. Ganz abgesehen davon, dass sich dem geneigten Betrachter weder der Sinn noch die Beweggründe für die Taten der Jugendlichen wirklich logisch erschließen - obwohl durchaus versucht wird dem Zuschauer diese näher zu bringen - ist auch die unglaublich langatmige Inszenierung eine Geduldprobe. Hier liegt folglich auch das Hauptproblem von Williams Film. Wenn man als Regisseur offensiv auf die Realitätsschiene - nur original mit unruhiger, ständig mitten im Geschehen verhafteter Kamera und ohne wirklichen Soundtrack - setzt, sollte man seinen Film auch wirklich realitätsnah und nicht nur sprunghaft, mühsam und improvisiert wirken lassen. Trotz der äußerst kurzen Laufzeit ist man als Betrachter somit häufig versucht, sich der FastForward Taste seiner Fernbedienung zu bedienen, was auch bei einem Film, der absichtlich jedes Unterhaltungswerts beraubt wurde nicht unbedingt ein Qualitätskriterium darstellt.
Obwohl die grundsätzliche Vorstellung, dass eine Situation wie jene in der sich Mike und Christine behaupten müssen, jeden Menschen unvermittelt treffen könnte, ziemlich erschreckend ist und auch das Ende von „Cherry Tree Lane“ zu überzeugen weiß, ergibt der Film folglich nur ein unbefriedigendes Gesamtbild. Dabei stört es noch nicht einmal, dass die Schauspieler wohl eher als Laiendarsteller bezeichnet werden sollten, und, dass sich die beiden unangenehmsten Gewaltspitzen in kamerafernen Zimmern zutragen. Diese Tatsachen werten den Film sogar auf. Was hingegen stört ist, dass man als Zuschauer weder zu Opfern noch Tätern auch nur irgendeine Beziehung aufbauen kann und der gesamte Streifen bei näherer Betrachtung wirkt, als würde man eine Real Crime Story aus dem Nachmittagsprogramm verfolgen.
Fazit
„Cherry Tree Lane" ist ein Film, dem man gewisse Qualitäten - wie eine interessante Grundthematik, eine durchgehend verstörende Stimmung und einen abrupten, aber gut gewählten Schlusspunkt - nicht absprechen kann. Trotz dieser Vorzüge enttäuschen die langatmige Inszenierung, die kurze Laufzeit, die emotionslose Abhandlung der Thematik und vor allem die absolut unnachvollziehbare Motivation der jugendlichen Eindringlinge. Auch so etwas Essentielles wie eine durchgängige Dramaturgie sucht man bei „Cherry Tree Lane“ vergebens, wodurch das Thrillerdrama folglich ein höchst ambivalentes Filmvergnügen geworden ist.
Autor: Christoph Uitz