Inhalt
Die amerikanische Filmemacherin Maxine kommt zur Fashion Week nach Paris und begibt sich auf eine Reise auf Leben und Tod, bei der sie Herausforderungen und Selbstfindung gegenübersteht.
Kritik
Der handwerkliche Prozess hinter dem mehrdeutigen Titelbegriff Alice Winocours (Proxima - Die Astronautin) episodischen Ensemble-Dramas beschäftigt die französische Filmemacherin mehr als das ephemere Endresultat. Eine endlose Folge Einschnitte, Stiche und neue Verbundenheit bestimmt die Leben der unterschiedlichen Frauen, denen ihr psychologisches Patchwork-Porträt auf ihrem unsicheren Weg durch die Welt der Designer-Mode begleitet. Eine impressionistisch angehauchte Inszenierung durchtrennt die makellose Hülle des Mode-Kosmos und enthüllt verletzliche Körper, verborgene Wunden und Ängste. Im Zentrum steht der weibliche Einsatz in einer Branche, die vor allem männliche Kreativität feiert.
Zu den Frauen, die meist unsichtbar, austauschbar oder anonym bleiben, zählen auch die Handvoll weiblicher Figuren, deren Wege sich am Rande des Laufstegs kreuzen. Die amerikanische Indie-Regisseurin Maxine (Angelina Jolie, Maria) soll für eine spektakuläre Show während der Pariser Fashion Week einen Gothic-Kurzfilm inszenieren. Der Luxus der Fashion Szene ist ihr ebenso fremd wie der jungen Ada (Anyier Anei). Die Pharmazie-Studentin aus dem Südsudan ist noch unentschlossen über eine Laufbahn als Modell, aber hofft mit dem Geld ihre Familie zu unterstützen.
Eine ihrer Mitbewohnerinnen in dem überfüllten Apartment, das die Agentur den Frauen zugeteilt hat, ist die ukrainische Maskenbildnerin Angèle (Ella Rumpf, Love Letters). Sie verarbeitet ihre Begegnungen hinter den Kulissen in einem Roman, den der Verlag allerdings ablehnt. “Nur weil es wahr ist, heißt das nicht, dass sich jemand dafür interessiert”, verkündet ein grauhaariger Lektor. Seine abschätzige Haltung gegenüber der Erfahrungswelt junger multinationaler Frauen steht stellvertretend für einen altväterlichen, weißen, privilegierten Blick auf die auf unterschiedliche Weise objektivierten Modells, Schneiderinnen und kreativen Talente.
Indem sie Angèle zur Hintergrunderzählerin ihrer Romanhandlung macht, solidarisiert sich Winocour demonstrativ mit ihren Charakteren. Ebenso brechen die arabesken Anekdoten mit Vorurteilen von Arroganz und Eitelkeit durch den Fokus auf die erschöpfende physische Arbeit körperliche Verunsicherung und Verletzungen. Letzte betreffende besonders Maxine, die eine Brustkrebs-Diagnose eines französischen Onkologen (Vincent Lindon, Das Geheimnis von Velázquez) zugleich mit massiven gesundheitlichen, ästhetische und professionellen Einschnitten konfrontiert. Jolies persönliche Verbindung zur Thematik macht ihre sensible Darstellung zum emotionalen Zentrum einer cineastischen Couture, die Verwundbarkeit und Stärke, Schmerz und Euphorie elegant zusammenschneidert.
Fazit
Körperliche, biografische, stoffliche und psychische Einschnitte werden zum vereinenden Motiv Alice Winocours mosaikartigen Mode-Dramas. Dessen übergreifendes Thema ist der weibliche Zusammenhalt in einer Branche, deren Außenwahrnehmung Klischees von Konkurrenzkampf, Eifersüchtelei und Intrigen prägen. Perfektion, Pose und Oberfläche sind die Gegenpole von Wahrhaftigkeit, Persönlichkeit und seelischen Zuständen, denen die intime Inszenierung nachspürt. Close-ups des Schneiders, Schminkens und Stylens lenke die Aufmerksamkeit sowohl auf die Transformation als auch die Arbeit hinter dem Konstrukt makelloser Schönheit. Eine flüchtige Illusion, die wie in der stürmischen Schlussszene schon ein Windstoß davontragen kann.
Autor: Lida Bach