Ein nicht sonderlich prominenter, aber deshalb noch lange nicht verzichtbarer Beitrag aus der Blütezeit des Film Noir, den der aus Ungarn stammende Regisseur Steve Sekely (eigentlich István Székely) knapp zehn Jahre nach seiner Flucht vor dem Dritten Reich und seiner schnellen Eingewöhnung in Hollywood (u.a. verantwortlich für Revenge of the Zombies) hier auf die Beine stellt. Eine der treibenden Kräfte hinter dem (B-Movie)Projekt war Hauptdarsteller Paul Henreid (Casablanca), der die Romanadaption mit viel Eigenanteil mit produzierte. Offenbar lag ihm viel an seiner (Doppel)Rolle und obwohl man Der Mann mit der Narbe jetzt nicht unbedingt zu den ultimativen Filmklassikern überhaupt zählen kann, verständlich ist dieses Engagement schon.
Die Prämisse mag Groschenroman-Niveau haben, ist aber (natürlich, darum verkauft sich so was ja auch) sehr reizvoll und birgt einiges an Spannungs-Potential, verknüpft mit einem hohen Maß an antimoralischem-ambivalentem Daumendrücken, womit dieser Film sehr überlegt ins geheim – nicht zu verwechseln mit manipulativ - durchaus spielt. Der Protagonist John Mueller lässt sich nicht mal unter ganz großzügigen Bedingungen noch als Antiheld bezeichnen, er ist ein eiskalter Verbrecher. Hochintelligent, gebildet, belesen, allerdings wohl von Natur aus so durchtrieben und mit einer abwertenden Wahrnehmung in Bezug auf ehrliche, konservative Lebensformen ausgestattet, dass er nicht aus seiner Haut kann…oder eher: Es ums Verrecken nicht will! Folgerichtig steht nach einem Gefängnisaufenthalt wegen diverser Betrügereien und Diebstählen (die meisten seiner Schandtaten konnten ihm nicht mal nachgewiesen werden, sonst hätte er kaum bis nie mehr die schwedischen Gardinen von außen betrachten können) gleich wieder ein riskantes Unternehmen an. Zu seinem Entsetzen muss er feststellen, dass seine alte Gang inzwischen ihren Lebensunterhalt mit legalen Tätigkeiten bestreitet und vor dem waghalsigen Vorhaben die illegale Spielhölle des ansässigen Mafiabosses auszunehmen im ersten Moment feige den Schwanz einzieht.
Dank seiner impulsiven Überzeugungskraft kommt der (angeblich) jahrelang ausgetüftelte Überfall doch noch zustande, allerdings mit fatalen Folgen. Um jetzt schon auf einen kleinen Haken im Plot zu sprechen zu kommen: Mastermind Mueller ist mit allen Wasser gewaschen, erweist sich auch im späteren Verlauf als gerissener und selbst unter Druck als überlegtes, kriminelles Beinah-Genie. Diesen anfänglichen Plan hätte er im Gegenzug so auch in einem Überraschungsei finden können. Dem Kassierer (während des laufenden Betriebs) eine Knarre vor die Nase halte, Kohle abgreifen, das Licht ausmachen um zu verduften…joah, das ist durchaus ausbaufähig und klappt überraschenderweise auch nicht so wie erhofft. Wieso, weshalb, warum, nicht die Stärke des Films. Interessanter wird es sowieso erst, wenn Mueller unverhofft die Möglichkeit erhält, sich seinen Verfolgern auf elegante Art zu entledigen und die Identität eines anderen anzunehmen, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Bis auf diese Narbe im Gesicht. Aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
Angekommen im eigentlichen Handlungsschwerpunkt gewinnt Der Mann mit der Narbe ordentlich an Klasse hinzu, lässt den etwas sehr zweckdienlichen Auftakt und eine dort noch unübersehbar begrenzte Budgetierung schnell vergessen. Einzig die böse, böse Logik nagt durchgehen an der spannenden Geschichte rund um einen abgezockten, wandlungsfähigen Gangster und seinen makabren Versuch, den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Auf gewisse Weise hat das eine Annährung zu Hitchcock's Lieblingsthema - dem Mann auf der Flucht, gezwungen zum Improvisieren -, mit dem feinen Unterschied, dass dieser Kerl alles andere als unschuldig ist. Somit hat der Zuschauer eigentlich gar keinen integren Sympathieträger zum Mitfiebern, womit man unweigerlich in eine knisternde Situation kommt: Soll der abgewichste, egoistische und zu allen Mitteln bereite Gauner mit seiner Tour davonkommen oder gönnt man seinen Gegner den Triumph…die da wären namenlose, ebenso brutale Killer?
Ein sonderbar-gelungener Zwiespalt, der den besonderen Reiz vieler Film Noir-Vertreter per se unterstreicht: Gut und Böse sind im Absoluten nicht existent, in der Grauzone verschwimmt alles zu einer Definition, die sich jeder selbst zurecht legen darf. Mit einigen smarten Ideen im Gepäck, gerade das gut (und unaufdringlich-clever) aufgebaute, sehr sarkastische Finale und dessen dann doch noch vorhandene Moral von der Geschicht‘ rund um das Aneignen einer fremden Identität ist wahrhaftig prima gelungen. Schwierig wird es bei der Nachvollziehbarkeit bzw. der Glaubwürdigkeit der Geschehnisse, auch wenn Der Mann mit der Narbe an einigen Stellen noch probiert, diese zu relativieren (die Szene mit dem Zahnarzt, der anspricht wie selten die Mitmenschen selbst offensichtliche Details nicht wirklich wahrnehmen). Ein netter Versuch einzulenken, was aber natürlich nicht einige sehr konstruierte Details komplett aus der Haftung nehmen kann.