Inhalt
Um das Leben seines zehnjährigen Sohnes zu retten, der dringend eine Knochenmarkspende benötigt, macht ein Chicagoer Polizist in der Datenbank des FBI einen potentiellen Spender ausfindig. Dieser ist ein verurteilter Massenmörder. Er willigt nur ein, um die Verlegung in ein Hospital zur Flucht zu benutzen. Dort geht dieser mit äußerster Brutalität vor, und der Polizist gerät in die widersprüchliche Situation, den Killer verfolgen und gleichzeitig vor dem tödlichen Zugriff seiner Kollegen retten.
Kritik
„Dann können Sie ja auch bestimmt nachvollziehen, wie sehr es mich amüsiert, dass die Ironie des Schicksals - obwohl ich hier schon seit Ewigkeiten einsitze - , mir jetzt nochmal die Möglichkeit gibt, jemanden zu töten. Und zwar das Kind eines Bullen. Alles, was ich zu tun habe, ist zu warten.“
Die Grundidee zu Desperate Measures ist so einfach wie effektiv. Ein Cop muss einen amoklaufenden Psychopathen beschützen, damit sein eigener Sohn eine Chance zum Überleben hat. Denn der kleine Junge von Frank Connor (Andy Garcia, Cash Truck) ist an Leukämie erkrankt, ohne eine zeitnahe Knochenmarkspende wird er bald sterben. Auf illegale Weise verschafft sich Frank Zugang zu der Datenbank von Inhaftierten und findet unter ihnen mit Pete McCabe (Michael Keaton, Morbius) tatsächlich einen geeigneten Kandidaten. Das Problem dabei: McCabe ist ein Misanthrop, wie er im Buche steht. Ein hochintelligenter, skrupelloser Killer für den ein Menschenleben nichts wert ist. Warum sollte er sich also auf diesen Deal einlassen, vor allem, da eine Begnadigung aufgrund der Schwere seiner Verbrechen vollkommen unmöglich ist? Zu Connor’s Überraschung und Freude willigt er nach kurzer Bedenkzeit doch in den Eingriff ein und stellt nur relativ banal klingende Bedingungen, die ihm die Zeit im Hochsicherheitstrakt etwas angenehmer gestalten soll. Natürlich verfolgt McCabe in Wahrheit nur einen ausgeklügelten Fluchtplan, der unmittelbar vor der OP auch gelingt.
Mehrer Menschen müssen dabei sterben. McCabe geht im Krankenhaus – das in einer besonders gesicherten Abteilung auch einige Schwerkriminelle beherbergt – zunächst auf Tauchstation. Eine Flucht aus der umstellten Klinik scheint unmöglich und er trägt eine Zielscheibe praktisch auf der Stirn, denn keiner der anwesenden Polizisten hätte Bedenken, den eiskalten Killer direkt auszuschalten. Außer Frank Connor. Der braucht McCabe dringend lebendig – und das weiß dieser auch. So lässt er Frank zu einer Art Komplizen werden, der sich gegen die eigenen Kollegen stellen muss und deren Leben mehrfach in Gefahr bringt, um die Überlebenschancen seines Sohnes aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig muss er McCabe aber auch selbst dingfest machen, da sich dieser freiwillig selbstverständlich nicht wieder unters Messer begeben würde. Eine moralische Zwickmühle, bei der er nicht nur selbst mit mehr als einem Bein im Knast, sondern zudem unter massivem Zeitdruck steht.
„Wie viele Menschen müssen heute noch sterben, nur damit Ihr Kind am Leben bleiben kann?“
Diese Frage ist es, die Desperate Measures zu Beginn so interessant gestaltet, inklusive der handwerklich souveränen Inszenierung von Barbet Schroeder (Barfly) und der starken Leistungen seiner Hauptdarsteller. Andy Garcia war in den 90ern immer überzeugend, ein echter Hauptgewinn ist allerdings Michael Keaton, dessen Karriere ja immer wieder diversen Schwankungen unterlegen war. Hier glänzt er als durchtriebener Psychopath mit hohem IQ und ethisch niedriger Hemmschwelle, was leichte Hannibal Lecter-Vibes mit sich bringt. In der ersten Hälfte funktioniert der Film dadurch wirklich gut, da natürlich auch dem Publikum sofort klar ist, dass er nicht aus christlicher Nächstenliebe in den Eingriff einwilligt. Dabei wird man in klassischer Hitchcock-Manier auf Zeuge und quasi „Mittäter“ seiner Flucht-Vorbereitungen, was für die Intensität äußerst förderlich ist. Danach bekommt man mehr oder weniger wieder eine Stirb Langsam-Variation, mit dem netten Nebeneffekt, dass der Protagonist nun nicht wahllos durch die Gegend ballern darf, sondern seinen Gegenspieler auch noch beschützen muss. Das hätte richtig Potenzial gehabt, leider sackt ein bis dahin wirklich vernünftiger Film – gemessen an gehobenem B-Movie Standard der 90er – im letzten Drittel sichtlich in sich zusammen.
An den Kinokassen war der im Januar 1998 in den USA gestartete Streifen ein massiver Flop und erntete überwiegend nur mittelmäßige bis vernichtende Kritiken. In Deutschland kam er wohl deshalb erst direkt auf Video heraus und ging dort auch in der Flut der Videothekenfilme mehr oder weniger sang und klanglos unter. Was aufgrund der prominenten Namen vor und hinter der Kamera etwas überrascht und mit Blick auf die Gesamtqualität nicht ganz angemessen erscheint, letztlich kann man ihm aber auch nicht mehr als leicht gehobenen Durchschnitt attestieren. Nach dem sehr anständigen Auftakt weiß man mit der attraktiven Prämisse nicht mehr viel anzufangen. Garcia und besonders Keaton spielen weiterhin überzeugend, mehr als ein paar schlichte Actionszenen ohne großen Aha-Effekt werden aber nicht mehr zustande gebracht. Dem Skript gehen sichtlich die Ideen aus und dass dem als durch und durch diabolischen McCabe letztlich doch so was wie ein Gewissen angedichtet wird, passt überhaupt nicht zum vorher gezeigten. Ebenso wie das enttäuschend laffe Finale, bei dem man sich aus dem Krankenhaus-Setting und dem gesamten Die Hard-Kontext entfernt. Das fühlt sich nicht nur an wie ein Fremdkörper, sondern ist auch noch so beliebig, es könnte aus praktisch jedem ähnlich gelagerten Genre-Film dieser Zeit stammen. Warum man es an diesen Streifen klatscht, bleibt relativ unverständlich.
Fazit
Der drastische Absturz in Sachen Kreativität und Spannung ist extrem Schade, denn an sich besitzt „Desperate Measures“ alle Möglichkeiten, als einer der besseren Die Hard-Klone seiner Zeit durchzugehen. Aus dem vielversprechenden Konzept entsteht schlussendlich auch nur ein ganz passabler Zeitvertreib, der sich ohne schlechtes Gewissen aber locker anschauen lässt. Allein die hervorragende Performance von Michael Keaton verdient es gesehen zu werden. Der Rest tut zumindest nicht weh.
Autor: Jacko Kunze