„Wenn das Ende schon am Anfang abzusehen ist, ist denn die Erfahrung dann viel wert?“
Man könnte sagen, dass das Feuilleton sowie die Publikumsschaft seiner Zeit eine gewisse Hassliebe zu Rainer Werner Fassbinder (Lili Marleen) gepflegt hat. Das hatte sicherlich mit den inszenatorischen Mitteln zu tun, die sich immer auch als Affront gegen das herkömmliche Erzähl- und Abbildungskonstrukt der zeitgenössischen Kinolandschaft verstanden. Gleichermaßen aber ließen sich die Abwehrhaltungen auch darauf zurückführen, dass die Zuschauer sich etwas zu sehr in den Filmen des Unruhestifters spiegelten. Sie fanden sich wieder, obwohl sie das Lichtspielhaus oftmals nur aus dem Grund verließen, um sich zu vergessen. Genau aus diesem Grund natürlich wurde Rainer Werner Fassbinder auch vergöttert – und das vollkommen zu Recht. Die bitteren Tränen der Petra von Kant, Fassbinders erster internationaler Erfolg, zeigt diesen Umstand indes sehr gut und genau auf.
Margit Carstensen (Possession) brilliert hier in der Hauptrolle als titelgebende Petra von Kant, eine angesehene Modedesignerin, die sich in ihrem Bremer Apartment verschanzt hat und ihre Hausdienerin Marlene (Irm Hermann, Die Zärtlichkeit der Wölfe) durch die Dachgeschosswohnung kommandiert. Das Verhältnis zwischen Petra von Kant und Marlene ist eindeutig: Petra besitzt die Macht, um Marlene zu demütigen. Marlene nimmt die Demütigungen in kauf, vielleicht, weil sie sich inzwischen daran gewöhnt hat. Vielleicht aber auch, weil sie Zeit ihres Lebens in der Rolle der Sklavin verhaftet war. Wenige Augenblicke später mischt sich Karin Thimm (Hanna Schygulla, Auf der anderen Seite), eine hübsche, junge Frau, die gerade aus Australien gekommen ist und die besten Voraussetzungen mitbringt, um als Model durchzustarten. Das Verhältnis zwischen Petra und Karin? Auch hier basiert alles auf Machtstrukturen.
Denn wo Karin in Petra ihre Chance sieht, eine große Karriere zu beginnen, sieht Petra in Karin die Chance, einen neuen Partner an ihrer Seite zur Liebe zu nötigen. In Die bitteren Tränen der Petra von Kant wird schnell deutlich, dass nichts kann, aber alles muss. Rainer Werner Fassbinder konfrontiert den Zuschauer mit Charakteren, die im Exzess, im Extrem verkehren. Charaktere, die sich ausnutzen, sich unterdrücken, bevor sie sich einander annehmen wollen. Clevererweise setzt Fassbinder in den ersten Momenten des Films, wenn die Rollen zwischen Petra und Marlene bereits verteilt sind, einen feinnervigen Zwischenton ins Geschehen, der von dort an beständig über dem Geschehen schwebt. Denn wo Marlene nicht mehr als eine Dienerin für Petra ist, werden bei einem kurzen Tanz Blicke ausgeteilt, die von einer größeren Zuneigung sprechen.
Aber auch das spielt dem inhaltlichen Diskurs, den Die bitteren Tränen der Petra von Kant forciert, nur in die mit Scharfsinnigkeit verteilten Karten. Fassbinder nämlich erzählt hier von Abhängigkeit und findet die Formen jener in einem Schmerz, der die Charaktere leiden lässt, der aber auch gleichermaßen als selbstverständlich hingenommen wird. Im Film selbst heißt es einmal: „Der Mensch ist schlimm. Letztlich erträgt er alles. Alles.“ Letztlich also erträgt der Mensch auch die Ausweglosigkeit gegenüber sich selbst. Fassbinder versetzt den Zuschauer selbst in die Lage eines Gefangenen, wenn er die Wohnung hermetisch von der Außenwelt abschirmt und das Atelier, in dem die Künstlichkeit, das Artifizielle regiert, als verwüsteten Seelenlandschaft herausstellt. Die Vorspiegelung von Souveränität und Selbstbewusstsein verschiebt sich alsbald zur Studie über die alles zerfressende Einsamkeit, über die Nutzbarmachung von Menschen, über den persönlichen Freiheitsanspruch, der sich wie eine Fessel um die eigene Existenz legt.